Es bestehen wenig Zweifel, dass die digitale Revolution auch jenen Sektor durchschütteln wird, der in unserem Land die Menschen vor allem wegen der anhaltenden Kostenexplosion umtreibt. Könnte die sich abzeichnende Entwicklung Richtung neue IT-Gesundheits-Welt diesen Trend dereinst brechen?
Der digitale Arzt im Haus
In seiner Ausgabe vom 3. Februar 2018 hat der Economist unter dem Titel „Doctor You“ eine Titelgeschichte publiziert, die es an sich hat. Das Wochenmagazin fordert uns alle auf, die digitale Revolution im Gesundheitssektor herzlich willkommen zu heissen. „Nicht umsonst nennen wir uns alle Patienten. In den reichen Ländern machen wir Bekanntschaft mit umsatzfokussierten Ärzten, endlosen Tests, verwirrenden Befunden, steigenden Kosten und langen Wartezeiten.“ Zweifellos gehört die Schweiz – mal etwas mehr, mal weniger - auch in diese Länderkategorie. Ein fundamentales Problem in dieser Situation sei, dass Patienten heute zu wenig Fachwissen und Kontrollmöglichkeiten hätten. „Der Zugang zur relevanten Datenwelt kann beides enorm verbessern.“
Bessere Diagnosen
Der rasch steigende medizinische Datenfluss ermöglicht erstens bessere Diagnosen. Wer sich um seinen eigenen Herzzustand sorgt, kauft sich einen Armbandmonitor, der Unregelmässigkeiten signalisiert. Neue Apps wetteifern darum, Hautkrebs oder Anzeichen von Parkinson frühzeitig zu diagnostizieren. Laufende Versuche ermöglichen bereits die Analyse des Schweisses, die Blutproben mehr und mehr überflüssig machen werden.
Ein zweiter Gewinn liegt im Management komplexer Krankheiten. Zum Beispiel können Diabetes-Apps helfen, den Umgang mit dieser Beeinträchtigung zu verbessern, indem sie laufend den Blutglukosestand und Nahrungsmitteleinnahme zu optimieren verhelfen und dadurch Langzeitschäden wie Erblindung vorbeugen können.
Drittens zeichnet sich ein grosser Gewinn aus der Idee ab, Patienten selber verantwortlich dafür zu machen, persönliche Daten zu liefern und zu sammeln. „Artificial Intelligence (AI)“ wird bei Googles Krankenkasse dafür erprobt, Krebs und Netzhautablösung frühzeitig zu signalisieren. Zusammen mit den „wearables“ (implantierte Mikrodetektoren) wird dies ermöglichen, aufgrund von Symptomen zu erkennen, ob jemand Gefahr läuft, an Depressionen oder Herzproblemen zu erkranken.
„An Apple a day“
Früher galt „An Apple a day“ als günstigstes und bewährtes Hausmittel. Ob die oben geschilderte Entwicklung, resp. die damit verbundene persönliche Verantwortungsübernahme allen „Kunden“ gefällt, steht offen. Auch, wer diese anfänglichen Zusatzkosten zu tragen hätte. Durchaus denkbar ist allerdings, dass vor allem die jüngeren und gesunden Menschen davon profitieren und entsprechend Prämien einsparen wollen.
Trotz allen (befürchteten?) Vorbehalten durch unbefugte Hacker, scheint die Entwicklung jenen Recht zu geben, die sich daraus mehr Vorteile als Nachteile erhoffen. Jedenfalls plant Schweden, bis 2020 den elektronischen Zugang zu persönlichen medizinischen Dossiers für alle Einwohner sicher zu stellen, ein Drittel davon bereits im Aufbau dieses Systems involviert ist.
Intelligente Gesundheits-App
Nachdem sich im letzten Jahrzehnt Smartphones immer unentbehrlicher beim persönlichen, täglichen Lebensmanagement gemacht haben, ist die nächste Expansionsrunde in eine noch lebenswichtigere Sparte eingeläutet. Nach dreijähriger Planungs- und Vorbereitungszeit hat Apple Geräte lanciert, die Lösungen für Fachärzte und Klinikpersonal offerieren. So wird es der nächste iPhone-Update mit dem App „Health Record“ erlauben, medizinische Daten zu analysieren, teilen und managen. Erstmals werden die Daten teilnehmender Spitäler und Kliniken mit den persönlichen des eigenen iPhones zusammengebracht und es damit Millionen von Menschen erlauben, digitale Kontrolle über ihr eigene Gesundheitsdaten zu übernehmen.
Wo Apple, ist Amazon nicht weit. Mit einem Joint-Venture mit Berkshire Hathaway und JPMorgan Chase haben sie die Arbeit aufgenommen, für ihr eigenes Personal eine Gratis-Gesundheitsfürsorge-Firma auf die Beine zu stellen mit dem Ziel, deren Krankheits- und Unfallversicherungskosten zu senken. Bereits 2017 hat Amazon auch den Online-Verkauf von Medikamenten vorerst testweise gestartet.
Eine dritte Firma, die „City-block Health“ wurde von Alphabet Inc. (deren Besitzer sind die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin) konzipiert. Die Leute versichern, sie wären schon heute in der Lage, durch Nutzung der AI 48 Stunden früher als herkömmliche Methoden erkennen zu können, wenn sich ein Spitalpatient in tödlicher Gefahr befinde - damit die Ärzte rechtzeitig intervenieren können.
Wie der Economist recherchiert hat, sind bereits heute Millionen von Menschen rund um den Erdball via ihre iPhones in solche und viele anderen medizinischen Studien involviert und es gibt Anzeichen dafür, dass diese Entwicklung eine ausserordentliche Wirkung erzielen wird. So fokussiert z.B. das App „mPower“ der Firma Sage Bionetworks, einer Non-Profit-Organisation, auf Parkinson und motiviert die angeschlossenen Handy-Benützer dazu, gewisse Aufgaben zu erfüllen oder das Zittern ihrer Hände mit dem im Handy eingebauten Accelerometer zu messen. Es besteht begründete Hoffnung, dass über kurz oder lang Mediziner dadurch in die Lage versetzt werden, Parkinson auf digitalem Weg zu entdecken bevor die Symptome durch den Patienten überhaupt wahrgenommen werden.
Grosse finanzielle Auswirkungen erwartet
Die Studie geht davon aus, dass die Gesundheitskosten in den entwickelten Ländern mittlerweile im Schnitt ca. 10% des Bruttosozialprodukts (BSP) ausmachen (in der Schweiz sind es gar 11,8%). Mal abgesehen vom schieren Kostenfaktor ist abzusehen, dass die oben als Beispiele angeführten Apps, digitalen Neuerungen und privaten Gesundheitsfürsorge-Aktivitäten nicht ohne gewaltigen Einfluss auf die Umsätze der Pharmabranche bleiben werden. Schliesslich warten Patienten, Krankenkassen und Politiker seit langem darauf, dass „ein Wunder“ dazu führen könnte, die ausufernde Kostenentwicklung im Gesundheitssektor zu bremsen. Doch auch die Ärzteschaft realisiert, dass das Verhältnis Patient/Arzt durch das Aufkommen solcher Entwicklungen (Armbänder, „wearables“) drastisch verändert wird. Eben: „Doctor You“.
Heissen wir also die digitale Revolution im Gesundheitswesen herzlich willkommen und versprechen wir uns – optimistisch wie wir sind – Fortschritte auf allen involvierten Teilgebieten! Auch in diesem Fall scheint es angezeigt, weniger passiv abzuwarten was da kommen wird, als aktiv zu partizipieren. Vielleicht beginnen wir beim genaueren Zuhören, dem Beobachten, was um uns herum passiert oder beim Lesen relevanter Beiträge in den Medien, die wir bis anhin bestenfalls überflogen haben. Sollten wir danach zum Schluss kommen, unsere bisherigen Ansichten hätten sich überlebt, umso besser. Ein persönlicher Perspektivenwechsel steht oft am Anfang einer erfolgreichen Zukunftsbewältigung.