Stephen Hawking: „Kurze Antworten auf grosse Fragen“, Klett-Cotta (2018)
Man braucht weder brillanter Physiker, noch revolutionärer Kosmologe zu sein, um dieses neue Buch mit einer Mischung aus Faszination, Zweifel und Ehrfurcht zu lesen. Stephen Hawking war Astrophysiker und begabter Autor, der uns hier einen Blick in seine Welt werfen lässt. Hawking verstarb am 14. März 2018 in Cambridge. Posthum – sozusagen als persönliches Vermächtnis – gibt er uns seine Antworten auf zehn grosse Fragen, die ihn bis zuletzt umtrieben. Diese sollten auch uns beschäftigen.
Ein Perspektivenwechsel eröffnet neue Denkwege
In seiner kurzen Einführung zu Hawkins Gedanken und Thesen betont Kip S. Thorne den Wert informeller Gespräche unter Kollegen (in diesem Fall in einem Hotelzimmer in Moskau), da „sie am Anfang neuer Denkwege stehen können“. Hawkins, so meint er, dessen luzider Gedankengang sich auf Einsteins Gleichungen zur allgemeinen Relativitätstheorie und weiteren Beobachtungen und Theorien stützte, pflegte zudem monatelang über Entdeckungen nachzudenken, „betrachtete sie erst von der einen, dann von der anderen Seite, bis er schliesslich eines Tages zu einer Einsicht kam“.
Wie einfach und doch so wertvoll scheint dieser Hinweis auf die Arbeitsweise des berühmtesten Naturwissenschaftlers unserer Zeit, dessen Gedanken zu Ursprung und Zukunft der Menschheit oder Künstlichen Intelligenz (KI) in die Gedankenwelten der Leserinnen und Leser eindringen mögen um dort - nolens volens – auch Zweifel an deren persönlichen Meinungen oder politischen Thesen zu säen. Es sei mir gestattet, in diesem Zusammenhang noch an eine Äusserung Einsteins - Hawkins grossem Vorbild - zu erinnern: „Probleme kann man nicht mit der gleichen Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind“.
Sehr grosse Fragen
Hawkins fühlte sich glücklich, einen Beitrag zum Bild des Universums – das sich in den letzten 50 Jahren erheblich verändert hatte – geleistet haben zu können. Nebenbei erinnert er daran, dass eine der grossen Offenbarungen des Weltraumzeitalters darin bestand, dass es der Menschheit die Sicht auf sich selbst ermöglichte. „Betrachten wir die Erde vom All aus, sehen wir uns selbst als Ganzes. Wir nehmen die Einheit wahr und nicht das Trennende. Ein einfaches Bild mit einer unwiderlegbaren Botschaft: ein Planet, eine Menschheit“. Und so fordert er eindringlich mutiges Handeln im Zusammenhang bei den entscheidenden Herausforderungen unserer globalen Gemeinschaft. Sein Vermächtnis: „Ich hoffe, dass sich, wenn ich gegangen bin, Menschen mit Einfluss und Macht finden, die Kreativität, Mut und Führungsqualitäten besitzen. Mögen sie die Kraft haben, die Ziele der nachhaltigen Entwicklung zu erreichen, und nicht aus Eigennutz zu handeln, sondern im Interesse des Gemeinwohls. Ich weiss nur zu gut*, wie kostbar die Zeit ist. Nutzt den Augenblick! Handelt jetzt!“ (*er litt während 55 Jahren seines Lebens an amyotropher Lateralsklerose (ALS), einer unheilbaren Erkrankung des Nervensystems).
Hawkins gibt uns seine Antworten auf diese grossen Fragen zu bedenken
Gibt es einen Gott?
Wie hat alles angefangen?
Können wir die Zukunft vorhersagen?
Was befindet sich in einem Schwarzen Loch?
Sind Zeitreisen möglich?
Wie gestalten wir unsere Zukunft?
Werden wir auf der Erde überleben?
Gibt es anderes intelligentes Leben im Universum?
Sollten wir den Weltraum besiedeln?
Wird uns Künstliche Intelligenz überflügeln?
Am Anfang stehen Träume
Hawkins, der von sich selbst sagt, er hätte auf diesem Planeten ein ausserordentliches Leben geführt „während ich gleichzeitig mithilfe meines Verstandes und der physikalischen Gesetze durch das Weltall gereist bin“, führt diese persönliche Geschichte auf „seinen“ Traum zurück. „Ich hatte gute Freunde in der Schule (ich war kein besonders guter Schüler, meine Arbeiten waren unordentlich, meine Handschrift unlesbar…). Wir diskutierten über alles Mögliche und besonders über den Ursprung des Universums. Da begann mein Traum und ich bin glücklich, dass er in Erfüllung gegangen ist.“
1988 veröffentlichte Hawkins sein Buch „Eine kurze Geschichte der Zeit“ – seither ist er auch einem weltweiten Publikum bekannt. Schon damals forderte er zum Nachdenken und letztlich Realisieren/Begreifen des Umstandes heraus, den er etwa so formulierte: Wir leben in einem Universum, das von rationalen Gesetzen bestimmt wird – Gesetzen, die mithilfe der Naturwissenschaft entdeckt und verstanden werden können.
Die Erde wird zu klein für uns
Gezwungenermassen verzichte ich in diesem kurzen Beschrieb von Hawkins Thesen darauf, diese im Detail zu erörtern. Aber stellvertretend sei die Frage herausgegriffen, ob wir auf der Erde überleben werden. Denn diese ist in vieler Hinsicht bedroht. „Die Erde wird zu klein für uns. Unsere Ressourcen wie beispielsweise die Bodenschätze erschöpfen sich mit rasanter Geschwindigkeit. Wir haben unserem Planeten das katastrophale Geschenk des Klimawandels beschert. Steigende Temperaturen, Rückgang der Polkappen, […] Krieg, Hungersnot, Wassermangel […] – eigentlich alles lösbare Probleme, die aber sämtliche bis heute nicht gemeistert sind. Wir alle verursachen die globale Erwärmung. Wir wollen Autos, Reisen, einen höheren Lebensstandard. Das Problem ist nur: Wenn die Menschen schliesslich merken, was sie anrichten, ist es höchstwahrscheinlich schon zu spät.“
Diese Feststellungen sind wahrlich nicht neu. Vielleicht ist es aber hilfreich, wenn ein anerkannter und respektierter Naturwissenschaftler dies ohne wenn und aber in Erinnerung ruft und bestätigt.
Hawkins Überzeugung ist die, dass wir mit unserer Zukunft auf dem Planeten Erde mit unverantwortlicher Gleichgültigkeit umgehen. Mit einem deutlichen Seitenhieb auf die verantwortlichen Politiker weltweit denkt er ausserdem, dass der Zustand unserer Welt politisch offensichtlich instabiler ist als je zuvor in seiner Erinnerung, was zur Folge hätte, dass sich viele Menschen „abgehängt“ fühlten und sich folge dessen Populisten anschliessen würden, „deren Fähigkeit, in einer Krise einen kühlen Kopf zu bewahren sich erst noch erweisen muss.“
Was würde die Welt verändern?
Abschliessend fordert Hawkins seine Leserschaft auf, neugierig zu sein, „etwas zu tun, das ihr erfolgreich tun könnt. Gebt nie auf, das ist am wichtigsten! Lasst eurer Fantasie freien Lauf! Gestaltet die Zukunft!“ In diesem Zusammenhang ist er überzeugt, dass es in Zukunft grosse Erfindungen geben wird, die die Art und Weise, wie wir leben und arbeiten revolutionieren werden. Das Aufkommen Künstlicher Intelligenz beschert uns Wendepunkte, bei denen selbstfahrende Autos ohne Fahrer nur Zwischenschritte sind. „Solche Leistungen sehen vermutlich im Vergleich zu dem, was die kommenden Jahrzehnte bringen, eher unbedeutend aus…“
Gefragt, welche Idee, die die Welt verändern kann, er sich umgesetzt wünschen würde, meint er: „Ich wünsche mir die Weiterentwicklung der Fusionsenergie, die uns ein unbegrenztes Quantum an sauberer Energie liefern würde. Und den Umstieg auf Elektroautos.“