Eigentlich müsste eine aufgeklärte Öffentlichkeit im 21. Jahrhundert in der Lage sein, sich selbst mit Verstand und Wissen ein Bild über das Geschehen auf der Welt zu schaffen. Doch viele Behörden und Verwaltungen – auch in der Schweiz -wollen das gar nicht, sie fordern in letzter Zeit wieder mehr Geheimniskrämerei.
Ein demokratischer Fauxpas
2023 schlug der Regierungsrat des Kantons Zürich allen Ernstes vor, dass die Sitzungen der Verwaltung künftig im Geheimen abgehalten werden sollten. Die treffende Reaktion auf dieses Ansinnen kam aus der Redaktion der NZZ: «Sie will Macht, aber keine Kontrolle: Die Zürcher Regierung hat ein Problem mit Transparenz – und versucht, die eigene Bevölkerung für dumm zu verkaufen.»
Sitzungsprotokolle sollten also Verschlusssache sein. Dabei sind sie das Herzstück der Transparenz. Sie ermöglichen der Öffentlichkeit, Entscheidungsprozesse nachvollziehen und Verantwortlichkeiten klären zu können. Wenn die Zürcher Regierung in ihrer Medienmitteilung behauptet, das Öffentlichkeitsprinzip zu stärken, aber exakt das Gegenteil tut, wertet sie den Begriff zu einem leeren Schlagwort ab. Dieses kontraproduktive Verhalten der Regierung ist inakzeptabel.
Der Ständerat übertreibt
Im Dezember 2023 ist eine Mehrheit des Ständerats dem Vorschlag von Thierry Burkart (FDP) gefolgt, dass «… bereits das Betrachten gestohlener Daten unter Strafe gestellt werden sollte» (NZZ). Natürlich gilt es, uns vor Datenklau zu fürchten und zu schützen, denn wir alle sind Cyberangriffen ausgesetzt, in erster Linie Unternehmen, Ämter und Verwaltungen. Aber mit diesem Passus gewinnt niemand; Verlierer sind allerdings wir alle, denn ein solches Verbot gefährdet die Pressefreiheit. Wenn nur noch auf Plattformen wie X oder Instagram und in Blogs – zum Teil anonym – informiert wird (hier pfeift man auf die Gesetze), verliert die Gesellschaft. Denn ob Behauptungen wahr oder falsch sind, braucht dort nicht überprüft zu werden.
Nun liegt es am Bundesrat, zu entscheiden. Nur aus Angst vor Datenlecks die Pressefreiheit zu beschränken, wäre eine klägliche Begründung. Angst ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber.
Der Bundesrat durchlöchert das Öffentlichkeitsprinzip
Es dauerte damals 24 lange Jahre, bis 2006 das Öffentlichkeitsgesetz auf Bundesebene in Kraft trat. Wie die «NZZ am Sonntag» im April 2023 berichtete, kommt auch heute der Wille zur Intransparenz von ganz oben. So geschehen im Zusammenhang mit der Zwangsfusion der CS mit der UBS, als die Regierung das Prinzip der Verwaltungstransparenz für Dokumente kurzerhand abschaffte. «Dass die Regierung den Zugang zu diesen Dokumenten per Notrecht pauschal verweigert, ist bedenklich und staatspolitisch nicht haltbar.»
Dieses Vorgehen darf keine Signalwirkung entfalten. Wer meint, Transparenzvorschriften gälten nur von Fall zu Fall, ist Wegbereiter für Lobbyisten.
Wenn – in einem anderen Fall – der damalige Bundesrat Alain Berset durchgesetzt hätte, die Transparenzregeln bei der Festsetzung von Medikamentenpreisen per Gesetz ausser Kraft zu setzen – und nur noch die Listenpreise der Medikamente zu publizieren, ausgehandelte Rabatte dagegen nicht –, hätten die betroffenen Medikamentenhersteller direkt profitiert und applaudiert. Dies alles, obwohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) – und damit auch die Schweiz – eine Initiative zu mehr Transparenz in den Verfahren zur Preisfestsetzung von Medikamenten offiziell unterstützt.
Wer sich näher mit den ausufernden Kosten im schweizerischen Gesundheitswesen befasst und der Meinung ist, die Öffentlichkeit hätte ein Anrecht darauf, nachvollziehen zu können, wie Medikamentenpreise entstehen, schüttelt den Kopf. Solche Ansinnen von ganz oben schaden und fördern die Skepsis der Bürger und Bürgerinnen in ihre Regierung.
Intransparente und widersprüchliche Schweiz
Schweizerische Behörden, Institutionen und Unternehmungen befürworten offiziell Transparenzforderungen und verhindern sie gleichzeitig. Im Fall versteckter russischer Oligarchengelder verweisen ausländische Politiker immer wieder darauf, dass unser Land mehr tun könnte. «Enablers» (Finanzprofis, die sich dadurch profilieren, dass sie russische Luxusgüter verstecken) könnten zu oft unbehelligt ihrer gut honorierten Diskretionsspezialisierung nachgehen. Und Bürgerinnen und Bürger fragen sich: Wie lange noch soll sich das «Offshore Model Switzerland» auch in Zukunft bewähren?
Halten wir fest: «Eine aufgeklärte Öffentlichkeit, die sich etwas zutraut, braucht möglichst viel Transparenz» (NZZ). Dies musste auch der Stadtrat von Zürich lernen, welcher der Meinung war, die Nationalität von Tätern bei Verbrechen oder Verkehrsvergehen geheim halten zu müssen. Jetzt hat der Kanton anders entschieden. Seine Meinung ist, dass die Behörden (also auch die Polizei) die Öffentlichkeit in solchen Fällen ohne Tabus zu informieren hätten. Zensur hat – so hoffen wir – ausgedient.
Zusammenfassend: Es scheint, dass in der Bevölkerung ein weitverbreitetes Unbehagen gegenüber Behörden und Politikerinnen und Politikern herrscht. Dies jedenfalls ergaben die Nachbefragungen zur Abstimmung über die 13. AHV-Rente. Wenn neuerdings in verschiedenen politischen Gremien versucht wird, das Transparenzgebot auszuhebeln (also die Öffentlichkeit nicht umfassend zu orientieren), dann ist genau das mit ein Grund für zunehmendes Misstrauen gegenüber unseren Institutionen.