Schon wieder müssen sich Schweizerinnen und Schweizer an der Urne mit einer Volksinitiative auseinandersetzen. Diesmal kommt sie von Links: JUSO, SP, Gewerkschaften. Auch sie folgt dem Muster, wonach „das Volk“ entscheiden soll, da die gewählten Behörden untätig bleiben. Und auch dieses Mal wird mit der Initiative Missbrauch getrieben, da sie die darin in Aussicht gestellten Versprechen gar nicht halten kann.
Das JUSO-Märchen
„Mit der Spekulationsstopp-Initiative ändern wir das gemeinsam“, schreiben die Initianten zur Begründung ihrer Volksinitiative. Gemeint sind u.a. Spekulation auf Nahrungsmittel, Preistreiberei durch Banken und deren Mitschuldigkeit am Hunger in der Welt oder das Mitmischen der Schweiz als Hort zahlreicher Rohstoffhändler an diesem verwerflichen Tun. (Zukünftig sollen solche Spekulationen, also Preisabsicherungen für Nahrungsmittel nur noch deren Produzenten und Händlern erlaubt sein).
So schön das tönt, so unrealistisch ist der gewählte Weg. Die aufgeführten Gründe sind entweder falsch oder Unterstellungen. Nachgerade befinden wir uns in der Schweiz mit Volksinitiativen, die Unmögliches suggerieren, immer öfters auf dünnem Eis. Das Hauptanliegen der JUSO, den Hunger weltweit zu bekämpfen, ist natürlich mehrheitsfähig, wer könnte dagegen sein? Wenn weltweit 870 Millionen Menschen (Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen - WFP) Hunger leiden, ist das ein Armutszeugnis. Doch auch bei Annahme der Initiative würde die Spekulation auf Nahrungsmittel nicht gestoppt. Wer und was immer mit Preistreiberei gemeint sei: Terminkontrakte (Futures) sind natürlich eine Form von Spekulation, diese kann aber in Erwartung steigender oder fallender Preise eingegangen werden.Seit 3800 Jahren wird „spekuliert“
Warentermingeschäfte mit Lebensmitteln, wie sie weniger vorwurfsvoll genannt werden, gab es schon in Mesopotamien, vor rund 3800 Jahren. Käufer und Verkäufer, etwa von Gewürzen, einigten sich vor Verschiffung der Ladung auf deren Preis, um so das Preisrisiko auszuschalten. Rund 1300 Jahre später betätigte sich im antiken Griechenland der Philosoph Thales gemäss Überlieferung als „Lebensmittel“-Spekulant: dank seiner Wetter-Kenntnisse und in Erwartung einer Hitzeperiode mietete er zu einen Spottpreis sämtliche Olivenpressen. Später, als jene tatsächlich eintraf und jeder Olivenbauer dringend eine Ölpresse brauchte, vermietete Thales diese zu einem weit höheren Preis.
Grundgedanke für solche „Spekulationen“ in der Landwirtschaft war später die Versicherungsidee. Aus Beispielen der Reisbörse von Osaka, Japan wissen wir, dass dort im 17. Jahrhundert eine bestimmte Quantität und Qualität von Reis zu einem im Voraus definierten Preis ver- und gekauft wurde. Aus dem 19. Jahrhundert ist z.B. bekannt, dass in den USA Farmer ihr Korn lange vor der Ernte an Mühlen verkauften, um sich damit einen guten Preis zu sichern. Der Käufer (Mühlenunternehmen) konnte sich gleichzeitig gegen Preissteigerungen absichern, die oft durch Missernten verursacht wurden. Mit der Gründung von Warenterminbörsen erfuhr diese Art des Handels eine Aufwertung. Fortan gehörten solche Futures-Kontrakte zum Alltag.Wer also heute Lebensmittelspekulation einfach mit Preistreiberei gleichsetzt, hat wohl den zugrunde liegenden Charakter missverstanden oder bestätigt zumindest eine eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit.Ursachen und Bekämpfung von Hunger
Das UN World Food Programme (WFP) listet sechs Ursachen als zentral für Hunger weltweit: 1. Die Armut in Entwicklungsländern, wo es oft an Geld für Saatgut, Werkzeugen, Dünger fehlt, aber auch an Land, Wasser oder Bildung. 2. Klima und Wetter: Naturkatastrophen, Dürreperioden – aber auch der Klimawandel verstärkt Bodenerosion und Versalzung. 3. Krieg und Vertreibung: Gewaltsame Konflikte (Bsp. Syrien) beeinträchtigen die Landwirtschaft. 4. Fehlende Investitionen in die Landwirtschaft: schlechte Infrastruktur und unzuverlässige Wasserversorgung. 5. Nahrungsmittelverschwendung: ein Drittel aller weltweit produzierten Nahrungsmittel (1,3 Milliarden Tonnen) wird verschwendet, nicht verzehrt. Die UNO-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) schätzt, dass die weltweite jährliche Getreideproduktion trotz Bevölkerungswachstum bei weitem ausreichen würde, um alle Menschen versorgen zu können. 6. Instabile Märkte: als Gründe für Preissteigerungen werden genannt: extreme Wetterbedingungen und schnell wachsende Volkswirtschaften.
Zu ergänzen ist diese Aufzählung wohl durch den Faktor Korruption. In allen sogenannten failed states sind Regierungen, Behörden, Sicherheitskräfte in hohem Grade oft korrupt. Korruption fördert die Armut, diese wiederum den Hunger.Für die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), die sich weltweit engagiert, ist deshalb Ernährungssicherheit zentrales Thema. Ihr Globalprogramm („für eine Welt ohne Hunger“) verfolgt vier Stossrichtungen: praxisbezogene Agrarforschung und ländliche Beratungsdienste vor Ort, sicherer Zugang zu Land, Wald und Wasser, aber auch zu genügender und ausgewogener Ernährung und schliesslich Berücksichtigung der globalen Ernährungssicherheit und kleinbäuerlicher Landwirtschaft in der Schweizerischen Politik.Allein diese Tatsachen zeigen, dass die Problematik des Hungers und dessen Bekämpfung wenig mit den Zielen der Initiative und dadurch einer kausalen Verbesserung der Situation in den betroffenen Ländern zu tun haben.Spekulationsstopp eine Illusion
Neue Vorschriften, neue Reglementierungen zu erlassen, fordern die Initianten vom Bund. „Banken, Effektenhändler, Privatversicherungen, kollektive Kapitalanlagen und ihre mit der Geschäftsführung und Vermögensverwaltung befassten Personen, Einrichtungen der Sozialversicherung, andere institutionelle Anleger und unabhängige Vermögensverwalter mit Sitz oder Niederlassung in der Schweiz“, sollen an die Kandare genommen werden, um direkte oder indirekte Investitionen in relevante Finanzinstrumente zu unterbinden. Denn, so wird argumentiert, solche Investitionen in Terminmärkte trieben die Lebensmittelpreise in die Höhe.
Abgesehen davon, dass es für diese Behauptung weniger statistische Unterlegungen gibt als für deren Gegenteil: die Schweiz ist kein signifikanter Handelsplatz für Rohstoff-Derivate, diese liegen in den USA (New York Mercantile Exchange – NYMEX oder Chicago Board of Trade – CBOT) und in Asien und wären somit in keiner Weise betroffen durch irgendwelche Entscheide der Schweizer Abstimmenden.Die Auswertung von diesbezüglichen Studien der Hochschule Luzern und der Universität Basel hat übrigens in der überwiegenden Mehrheit ergeben, dass kein statistisch oder ökonomisch relevanter Einfluss auf die Richtung der Preisveränderungen auftraten; bei Agrarrohstoffen sogar eher ein stabilisierender Effekt bestätigt wurde.Nicht zu verwechseln mit diesen Börsen sind internationale Handelsfirmen mit Sitz in der Schweiz, die im Agrarbusiness etabliert sind: 35% des weltweiten Getreidehandels, 50% des Zuckerhandels und 60% des Kaffeehandels werden über unser Land abgewickelt. In der Schweiz sind solche Firmen seit langem angesiedelt, Gründe dafür sind u.a. gute Infrastrukturen, Personalressourcen, Rechtssicherheit. Neue, zusätzliche Reglementierungen sind Gift für eben solche Sicherheiten und Standortvorteile und wir sollten uns hüten, jährlich neue negative Signale über unseren eigenen Werkplatz zu verkünden.Sinnvollere Lösungen
2015 erteilte das Parlament dem Bundesrat die Kompetenz zur Einführung von Positionslimiten. Damit sollen Preismanipulationen verhindert werden. Mit der Begründung, die EU plane ebenfalls solche Limiten wird im Moment im Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) damit noch zugewartet. Es ist denkbar, dass die EU-Mitgliedstaaten Ende 2017 entsprechende Richtlinien in Kraft setzen werden und die Schweiz dannzumal mitziehen würde.
„Mit Essen spekuliert man nicht“
Unter diesem Motto segelt die Initiative der JUSO. Ob das Volk diesen Aufruf richtig versteht, ist ungewiss. Laut Studien neueren Datums werden in der Schweiz jährlich 2 Mio. Tonnen Nahrungsmittel weggeworfen, 260 kg pro Kopf, und wie sich weiter zeigt, sind für dieses Abfallvolumen zum grössten Teil die privaten Haushalte verantwortlich. Knapp die Hälfte aller Verluste geht auf ihr Konto.
Wer also suggerieren will, mit unserem Essen dürfe nicht spekuliert werden, kann getrost bei sich im Kleinen anfangen. Food-Waste ist ebenso ein Armutszeugnis wie Food-Speculation.Bundesrat und Parlament lehnen, aus unterschiedlichen Gründen, diese Initiative ab.