Einige Wochen nach dem Weltwirtschaftsforum (WEF) 2018 und mit entsprechender Distanz zum medial hochgespielten Geschehen bleibt die grosse Frage: Werden das System „Vision Macron“ oder jenes „Trump auf Pump“ überleben, ja die Weltpolitik verändern? Unterschiedlicher können ja die Personen, deren Herkunft und Programme nicht sein.
Emmanuel Macron, jung und „En Marche!“
Weil er den grauen Alltag der französischen Parteien satt hatte, gründete Macron kurzerhand seine neue Bewegung (nicht Partei) und pulverisierte damit das vorher alternativ- und trostlose scheinende System, in dem die französischen Präsidenten während Jahrzehnten gefangen waren. Eine seiner Hauptdevisen: „En même temps“, damit wollte er die sturen Parteiparolen aushebeln; also nicht das verstaubte „entweder/oder“ als Kampfdevise gegen Andersdenkende, sondern „sowohl, als auch“ als Kooperationsangebot, zusammen die Zukunft zu gestalten. Man muss sich das erst einmal durch den Kopf gehen lassen. Da kommt ein junger Mann, vor wenigen Jahren noch weitgehend unbekannt, analysiert die desolate Lage seiner perspektivenlosen „Grande Nation“ und startet durch. Und er tut dies im Stil einer historischen Persönlichkeit, wie es sich für das Elysée gehört.
Donald Trump, 72-jährig, „The Apprentice“
Die Reality-Show “The Apprentice” (Der Lehrling) machte ihn 2004 zu einer bekannten Figur der USA. Es ging im Film um das Auswahlverfahren, den geeignetsten Kandidaten für ein Unternehmen zu finden. 13 Jahre später sah sich Donald Trump selbst auserkoren: Zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten und somit ältesten Präsidenten bei Amtsantritt. Ohne vorher ein politisches Amt innegehabt zu haben, trat auch er an, es allen zu zeigen. Sein elektisches „Programm“ setzt sich zusammen aus Bruchstücken des Populismus, Protektionismus und Isolationismus.
Macrons „Tour du monde“ am WEF
Am WEF hatten Macron und Trump ihre Auftritte, beschrieben sie eindringlich ihre Visionen für die Zukunft der Welt. Dabei plädierte Macron für eine „Avantgarde“ innerhalb der EU, wohl wissend, dass gegenwärtig einzelne Mitgliedstaaten der EU laufend gegen die Brüsseler-Bedingungen verstossen, ja, sich demonstrativ um Entscheide in einzelnen Sachfragen foutieren. Dass Europa gegenüber den USA, China, Russland und weiteren herausfordernden Staaten geeinter und kraftvoller als momentan auftreten müsse, scheint auf den ersten Blick plausibel. Ob und wie das zu bewerkstellen sein wird, darüber herrschte jedoch auch nach seiner Rede eine gewisse Ratlosigkeit. Damit sich Macrons Pläne einst erfüllen sollten, dafür hätte diese Avantgarde zu sorgen und „dürfe dabei nicht von anderen Staaten ausgebremst werden“, (NZZ).
Macron liess keinen Zweifel daran, dass sein Land zurückgekehrt sei in den Kern der EU. Er wandte sich gegen eine drohende Fragmentierung der Welt und damit direkt gegen die Ambitionen Trumps. In der Tradition Frankreichs gebrauchte Macron grosse, symbolische Worte: Es bedürfe jetzt eines neuen Weltvertrags, erstmals müssten dabei Staaten (Politik) und Wirtschaft (Unternehmen) eingebunden werden, denn nur so könne in Zeiten der Globalisierung die Situation für die Gesellschaft fairer und gleichzeitig nachhaltiger gestaltet werden. „Fast schien es, als wäre Europa für Macrons Ambitionen als Weltenretter zu klein“, orakelte der Tages-Anzeiger.
Trumps Reden, dem Publikum perfekt angepasst
Trumps Rede in Davos, seine mit ernstem Gesicht und staatsmännisch vorgetragene Vision, enthielt jene bekannten Highlights, allerdings auf einem völlig anderen Weltbild basierend. Nachdem die militärisch inspirierte Fanfareneinführung überstanden war, hörte das erlauchte Publikum einen typischen Trump-Werbespot in eigener Sache. „America first!“ heisse nicht, Amerika alleine – doch was folgte, war eben vor allem „Trump allein“. Seit seinem Amtsantritt boome die Börse, die Wirtschaft floriere dank ihm wie nie zuvor in zehn Jahren, er forderte die anwesenden Wirtschaftsführer klar und deutlich dazu auf: Bringen Sie Ihr Geschäft in die USA! Bereits stünden die Konzerne vor den Toren seines Landes Schlange. Die USA, stark und strahlend, dank Trump. Dank Deregulierung und Steuerreform.
Keine Worte zu hören waren über das rapid steigende Budget-Defizit der USA, seine nicht eingelösten Wahlversprechen oder seine früheren Hasstiraden gegen die Politik in Washington, die zu nichts fähig sei. Man hatte wohl auch nichts anderes erwartet.
Zwei unvereinbare Weltbilder
Hier der Aufruf Macrons, zusammen die Probleme der Welt anzugehen, dort die Machtdemonstration des erfolgreichen, ehemaligen CEOs seines eigenen Firmenkonglomerats, der seine Aufgabe darin sieht, aus dem Staat Amerika den Mischkonzern USA zu formen. Seine eigene Partei, die Republikaner, von denen er führende Mitglieder unverhohlen verachtet, spielt dabei eine traurige Rolle. Um an der Macht zu bleiben, sind sie zu Kopfnickern verkommen und haben wohl schon nach einem Jahr vergessen, dass Trump angetreten ist, um die Politik zu zerstören. Dass es ihm damit ernst ist, beweisen die allmorgendlichen Twitter-Botschaften an seine treuen Fans.
Trumps Parallelwelt
Dass sich Amerika mit jedem Tag mehr und mehr isoliert, ist dumm. Dass ihr Land aus dem Klimaabkommen aussteigt, das Freihandelsabkommen TAP aufkündigt, die Beiträge an die UNO kürzt, das Iran-Abkommen unglaubwürdig macht, das alles ist eine schlimme Mischung, meinte anfangs 2018 Samantha Power, die ehemalige UNO-Botschafterin der USA und Vertraute von Präsident Obama in einem Interview mit der NZZ am Sonntag. Auf die Frage Peer Teuwsens, wie Trump ticke, meinte sie, „Ich könnte nur spekulieren. Und das wage ich nicht“ und auf die Anschlussfrage, ob sie eine Agenda ausmachen könne, kam die Antwort, die alles aussagt: „Ich habe gestern einen Tweet gelesen: Wenn Obama den Krebs geheilt hätte, würde Trump den Krebs wieder einführen“.
Samantha Power, Pulitzerpreisgewinnerin 2003 mit ihrem Buch „A Problem from Hell: America and the Age of Genocide“, Lehrstuhlinhaberin in Harvard, beurteilt die Situation ihres Landes illusionslos und ist wohl dazu geeigneter als jene Journalisten in Europa, die diese Präsidentschaft mit ihrer persönlichen Chefredaktor-Optik umdeuten. „Für 40 Prozent der Amerikaner ist Fox News die hauptsächliche Nachrichtenquelle. Die leben also in einem alternativen Universum“, sagt sie und gesteht gleichzeitig, sie und die Demokraten hätten Trump unterschätzt, ebenso sein politisches Genie.
Macrons Reformagenda
Der sich zum Retter der EU berufen fühlt, hat – zur Überraschung vieler – in seiner Heimat Frankreich nicht nur drastische Reformen angekündigt, er hat sie auch durchgesetzt. Wer orakelte, die Gewerkschaften würden seine Pläne durchkreuzen, sah sich getäuscht. Ähnlich wie in den USA läuft die Wirtschaft wie seit Jahren nicht mehr, die Arbeitslosenquote sinkt kontinuierlich und das Staatsdefizit sinkt. Sobald Frankreichs Glaubwürdigkeit in Wirtschafts- und Haushaltfragen wieder hergestellt sei, werde er Angela Merkel ein Angebot machen um dem gelähmten Europa eine neue Perspektive, eben jene „L’Europe en marche“ machen, kündigte er schon im Herbst 2017 in der ZEIT an.
Kurz- oder weitsichtig?
Vor der eigenen Haustüre wischen und anschliessend zu reformieren, wo die Politik seit Jahrzehnten still gestanden ist, obwohl sich doch die Welt laufend und immer schneller verändert hat, dieser Ansatz tönt so ganz anders, als jener aus dem White House. Ob sich die Botschaften aus Washington als kurzsichtig oder jene aus dem Elisée als weitsichtig erweisen werden, wir wissen es noch nicht. Wir können nur hoffen, möglich wäre sogar beides gleichzeitig.