Seit mehreren Jahren ist ein weltweiter Trend zu beobachten. Rechtspopulisten bekennen sich wortgewaltig zu den Demokratien, in denen sie leben, zu ihrer Heimat, zu ihrer Nation. Sie rühmen sich gar, als Sprachrohr der schweigenden Mehrheit zu dienen. Gleichzeitig hetzen, poltern und twittern sie in ruppigem Stil gegen das politische Establishment, gegen die Obrigkeit, gegen Gerichte, gegen «die da oben». Dieses perfide Verhalten nagt am Fundament westlicher Demokratien. Es spaltet die Nationen in zwei unversöhnliche Lager ohne Kompromissbereitschaft. Eine gefährliche Entwicklung.
Ein kostbares Erbe
Diese Feinde der Demokratie leben und wirken innerhalb ihrer eigenen, heimatlichen Grenzen (früher kam der Feind von aussen). «All jene, die sich glücklich nennen dürfen, eine solch kostbare Demokratie geerbt zu haben, müssen sich aufrappeln, diese zu verteidigen», rät besorgt der Economist.
Warnend zeigt das bekannte Wochenblatt auf die Fidesz-Partei in Ungarn und ihren Chef Viktor Orban, gleichzeitig aber auch auf Donald Trump (USA), Benjamin Netanyahu (Israel), Boris Johnson (Grossbritannien), Matteo Salvini (Italien), Recep Erdogan (Türkei). Diese zynischen Politiker verunglimpften die politischen Institutionen, um sie zu zerstören. Ja, sie (z.B. Johnson) kennen keine Schmerzgrenze und schickten gar das Parlament in die Ferien, wenn es ihnen missliebige Beschlüsse produziert. So fügten sie diesem Parlament «unermesslichen» Schaden zu. Wie perfide sich z.B. Orban gebärdet, geht daraus hervor, dass er in den letzten neun Jahren sukzessive die drei Gewalten (Exekutive, Legislative, Gerichte) Ungarns «umarmt» hat und dies stolz «System der nationalen Kooperation» nennt.
Warum punkten die Populisten im Volk?
In den westlichen Demokratien haben viele Menschen das Vertrauen in die Politik verloren, weil es ihnen wirtschaftlich schlechter geht als früher oder weil sie sich vergleichen mit den Abzockern in den Führungsetagen (z.B. der Banken). Einfacher gesagt: man sucht einen Schuldigen für den eigenen Missmut. Sie haben eine Wut auf «Fremde» (Einwanderer, Flüchtlinge), aber auch auf Andersdenkende entwickelt. Beides, verlorenes Vertrauen und Hass auf das Fremde wird seit Jahrzehnten von den populistischen Parteien bewirtschaftet und geschürt, tatkräftig gefördert durch die sozialen Medien, wo radikale Tweets das Feuer weiter anfachen. Damit glauben diese Parteien punkten und politisch mobilisieren zu können (in der Schweiz die SVP). «Diese drei Entwicklungen ergeben einen explosiven Cocktail», ist der Politologe Yascha Mounk überzeugt («Bulletin»).
Nicht wenige Ökonomen, die sich mit diesen Trends befassen, sind der Meinung, dass vor allem die «Abstiegsbedrohten» anfällig für populistische Szenarien wären. In den USA kommt ein weiterer Grund dazu: Viele Millennials stehen der Demokratie skeptisch gegenüber. Während noch die 1930/1940 Geborenen es ausdrücklich wichtig erachteten, in einer Demokratie zu leben, ist es bei den seit 1980 Geborenen weniger als ein Drittel. Dani Rodrik, der Harvard-Ökonom sagt: «Zum einen zeigt sich ein unglaublicher Wissensverlust […], zum andern schwindet das Bewusstsein für die Bedeutung unseres politischen Systems für den Frieden.»
Ob diese Forschungsergebnisse für die Schweiz gleichermassen Gültigkeit haben, ist unsicher. Einerseits ist eine weitverbreitete Angst vor der Zukunft evident («eine Reihe von guten Jahren, ist schwierig zu ertragen»). Andererseits dürfte hierzulande der Faktor mitspielen, dass die populistische Volkspartei seit Jahrzehnten die EU schlecht redet und dabei deren wichtigste Funktion ausblendet: Erhalt des Friedens in Europa. 75 Jahre ohne Kriegswirren, das hat es auch in der Schweiz in früheren Zeiten nicht gegeben.
Echte Krise der Demokratie
Der grosse alte Mann, Nobelpreisträger für Literatur und begnadeter Erzähler (und erfolgloser Politiker) Mario Vargas Llosa meinte 2018 in einem Interview in der NZZ: «Was wir erleben, ist eine echte Krise der Demokratie». Er ist überzeugt, dass in unseren etablierten Demokratien die sozialen und ökonomischen Unterschiede, welche die Bevölkerung registriert, respektive der Umstand, dass diese als ungerecht empfunden werden, der Enttäuschung des Volkes zu Grunde liegen. Diese Enttäuschung mündet in eine tiefe skeptische Haltung gegenüber der herrschenden Ordnung und damit wird sie anfällig für die verführerischen Angebote der Populisten. Für dieses Misstrauen mache das Volk die Vertreter des Establishments verantwortlich. Diese machten Politik für die grossen internationalen Konzerne, nicht für die Bürger. Da ist wohl eine Portion Schelte für die Übertreibungen des Neoliberalismus unüberhörbar.
Angesprochen auf die heikle Frage, wann das propagierte Zugehörigkeitsgefühl in ein Überlegenheitsgefühl kippen könnte, meinte Vargas Llosa: […] der Patriotismus ist durchaus eine positive Kraft. Denn was wäre ein Mensch ohne Heimat? Nationalismus ist jedoch etwas gänzlich anderes. Er beginnt da, wo das Kollektiv wichtiger wird als das Individuum. Patriotismus ist ein Gefühl der Verbundenheit mit der Heimat, Nationalismus jedoch ist stets gegen andere gerichtet».
Dieses «gegen die andern» (oder: „alle Parteien gegen uns“) als Parteidevise der SVP ist tatsächlich hinderlich für guteidgenössische Kompromisse, wie sie seit Jahrhunderten unser Land vor viel Leid bewahrten. Cleverer Kompromiss statt sturer Kampf hiesse die Zauberformel. Schon die alten Eidgenossen um 1291 hatten das kapiert, als sie sich zum Bund zusammenschlossen.
Dem Volk suggerieren zu wollen, «im Namen des Volkes» zu sprechen und handeln, ist pure Fehleinschätzung und Überheblichkeit.