Die erste industrielle Revolution begann im späten 18. Jahrhundert in England mit der Mechanisierung der Textilindustrie. Anfangs des 20. Jahrhunderts folgte die zweite industrielle Revolution. Es war Henry Ford, der mit der Fliessbandarbeit die Massenproduktion im Autobau erfand. Heute stehen wir vor der dritten Revolutionswelle - mit gewaltigen Auswirkungen. Die industrielle Produktion wird digital. Das wird nicht nur unsere Wirtschaft, sondern auch Berufsbilder, Fabrikationsstätten und Produktionsstandorte vor komplett neue Herausforderungen stellen. Die Auswirkungen auf unser Leben werden gewaltig sein.
Der dritten Dimension entgegen“1, schreibt der Economist. „Ein Produkt wird am Computer entworfen und auf einem 3D2-Drucker „gedruckt“, welcher einen soliden Gegenstand produziert, indem er sukzessive die einzelnen Materialschichten aufbaut. Die Formen (digital design) können per Mausklick verändert werden, die Produktion läuft ohne menschliches Dazutun und kann auch komplexe Vorgänge bewältigen. „In time, these amazing machines may be able to make almost anything, anywhere – from your garage to an African village.”3 Zwar werden auf diese Weise noch keine Autos fabriziert, doch sehr wohl einzelne Autoteile, kundenspezifische Smartphonegehäuse, Schuhe, Hörgeräte – um einige Beispiele zu nennen. Oder: In Zusammenarbeit mit der University of Southern California arbeiten Biotechnologiefirmen mit Hilfe von diesen 3D-Druckern an der Entwicklung eines Zementersatzes, der weniger als das herkömmliche Baumaterial kosten und ökologisch vertretbar sein wird.
Neue Materialien sind leichter, stärker und langlebiger als alte. Kohlefaserstoffe ersetzen Stahl und Aluminium (Flugzeuge, Velos). Nanotechnologie verleiht Produkten besondere Eigenschaften: Wie Wundpflaster, die Schnittwunden rascher heilen oder Motoren, die effizienter laufen. Aus gentechnisch entwickelten Viren werden Batterien hergestellt. Musste Ford einst viel Kapital einsetzen, um seine Fabrik River Rouge zu erstellen, wäre heute ein Laptop und Erfindungsdrang ein Equivalent.
Auch Fotovoltaik-Panels auf Siliconbasis unterliegen einem rapiden Produktionswandel. Vorerst geht die Entwicklung Richtung Dünnschicht-Wafers, die einerseits immer weniger Silicon brauchen, andererseits eine ständig steigende Effizienz erzielen (bei gleichzeitiger Halbierung der Produktionskosten). Doch bereits sind Kohlestoff-Nanoröhren im Produktionsversuch, welche die Stromerzeugungseffizienz buchstäblich explodieren lassen werden.4 (Weitere Innovations-Beispiele finden Sie in „Zukunft anders denken! Durchschaut! Nr. 61 vom 28.6.2012).
Wie alle vorangegangenen, wird diese dritte industrielle Revolution auch zerstörerisch sein. Fabrikhallen werden nicht mehr gekennzeichnet sein durch laute Maschinen und Arbeiter in öligen T-Shirts. Die neuen Produktionsstätten werden blitzblank und fast menschenleer sein. Die Fabrikarbeiter werden ersetzt durch Ingenieure, Designer, IT-Spezialisten, Logistikexperten. Waren früher Produktionsstätten den Billiglohnländern gefolgt, nimmt der Anteil Lohnkosten laufend ab. Ein Beispiel: Der iPad der 1. Generation wurde für $499 verkauft, dessen Herstellungskosten betrugen $33, wovon nur $8 in China erarbeitet. Somit werden zukünftig die steigenden Lohnkosten in China, aber vermehrt auch die neue, noch effizientere Just-in-time-Produktion dafür sorgen, dass solche Hightech-Produkte wieder in den reichen Industrieländern (wo die Hauptverbraucher leben, und wo rasch auf wechselnde Kundenwünsche reagiert werden kann) produziert werden.
Alle diese Entwicklungen und Erfindungen werden in immer kürzeren Abständen erzielt. Eines der Rezepte: Crowd-Sourcing5. Ein Beispiel: Quirky, das Designer-Studio der nächsten Generation, installiert in einem ehemaligen Lagerhaus am Hudson River, ist ausgerüstet mit mehreren 3D-Druckern, Laserschneide-und Fräsmaschinen, einer Farbspritzboxe und einigem anderen Material. In diesem Prototype-Shop werden Ideen in Produkte umgewandelt, wöchentlich entstehen auf diese Weise zwei Neuheiten. Die Prototypen werden via Crowd-Sourcing „in die Welt“ geschickt, Konsumenten und Hersteller geben ihren Input. Die Produktion läuft anschliessend weltweit für die regionalen Märkte – innert 24 Stunden können Änderungen vorgenommen werden.
Der Special Report des Economist, verfasst im April 2012 und Diamandis’ Buch Abundance (siehe Fussnoten), zeichnen faszinierende Szenarien – gleichzeitig hoffnungsvoll und verunsichernd. Wird diese Entwicklung zu Arbeitsplatzverlusten oder –verlagerungen führen? Sicher. Die Politik wäre gefordert, heisst es doch: „Gouverner, c’est prévoir.“ Aber noch immer tendieren nationale Regierungen eher dazu, existierende einheimische Industrien zu schützen, statt kreative Start-ups zu fördern. Statt Sparen im Bildungswesen sind mutige Schulsysteme und Lehrstellen in neuen Betätigungsfeldern gefragt, die unsere Jungen auf die dritte industrielle Revolution vorbereiteten. Für unser Land hiesse das: Swiss made für Käse ist gut, Swiss 3D-techology wäre besser.
1 „Towards a third dimension“, The Economist April 21st, 2012 (Special Report, Manufacturing and Innovation).
2 3D: dreidimensional.
3 „Bald werden diese erstaunlichen Maschinen fast alles herstellen können, überall auf der Welt – von ihrer Garage oder einem Dorf in Afrika aus.“
4 Mehr dazu im Buch von Peter H. Diamandis + Steven Kotler: „Abundance – THE FUTURE IS BETTER THAN YOU THINK“. Free Press, 2012.
5 Crowd-Sourcing: gemeint ist „Schwarmauslagerung“, (tönte etwas komisch auf deutsch). Damit ist hier die öffentliche Auslagerung von Entwicklungsschritten (Produktion, Technologie etc.) gemeint, damit sich „die ganze Welt“ beteiligen kann. Genau das Gegenteil der traditionellen Entwicklungspolitik F&E, die angestrebte Fortschritte sozusagen im eigenen Labor im geheimen zu erzielen suchte.