Immer wieder lassen Medienberichte über Merkwürdigkeiten bei Schweizer Grossbanken aufhorchen. So erfahren wir z.B., dass der Aktienwert der Credit Suisse (CS) in den letzten zehn Jahren um 70 Prozent gesunken ist und dass sich der Verwaltungsratspräsident dieser Ära, Urs Rohner, gleichzeitig 42 Millionen an Salär und Aktienbezügen ausrichten liess. Nicht genug der Absonderlichkeiten: In diesem Zeitraum bezahlte die CS rund 11 Milliarden Franken an Bussen.
Es tönt wie ein Märchen
Urs Rohner: Nachdem er von 2004 bis 2009 Chefjurist der CS gewesen war, wurde er als Vizepräsident in den Verwaltungsrat gewählt, dessen Präsident er ein Jahr später wurde. Präsident des Aufsichtsgremiums war damals Walter Kielholz. In den Jahren darauf folgten happige Bussenzahlungen durch die Bank. 2019 musste das Topmanagement zugeben, dass es Iqbal Khan, ihren eigenen Chef der Vermögensverwaltung, bespitzelt hatte. 2020 trennte sich die CS von ihrem CEO Tidjane Thiam, der seinerseits auf Brady Dougan gefolgt war. Jetzt kam Thomas Gottstein.
Im März 2021 gab die CS einen weiteren Verlust von 4,4 Milliarden Franken, diesmal als Folge der Pleite des US-Hedgefonds Archegos, bekannt. Rohner bezeichnete den Skandal als «Ausrutscher». An der GV 2021 übergab er das Zepter an seinen Nachfolger Horta-Osório, der nach nur acht Monaten zurücktreten musste. Axel P. Lehmann wurde dessen Nachfolger. Katharina Bart (www.finews.ch) schrieb damals: «Die Bilanz des Schweizers an der Spitze der CS ist desolat und steht in krassem Gegensatz zum Gehalt von mehr als 40 Millionen Franken.»
Diese Geschichte über Skandale, Verluste, Investment-Pleiten, Kurssturz der Aktien einer schweizerischen Grossbank, die einst als Aushängeschild des Swiss-Bankings galt, ist allerdings kein Märchen, sondern bittere Wahrheit. Kapitalzertrümmerung nennen wir das. Ist es Grössenwahn, subjektive Wahrnehmungder Manager oder fehlende Kompetenz, die zu dieser beispiellosen Talfahrt des Bankinstituts führte?
Gigantisches Datenleck «Swiss Secrets»
Gemäss der «Süddeutschen Zeitung» vom 20. Februar 2022 entstammen die Angaben über 180'000 geheime CS-Konten einer anonymen Quelle, aus einem Briefkasten für Whistleblower. Laut dieser Berichterstattung hatte die CS eine Reihe von heiklen Kunden, darunter «brutale Machthaber, korrupte Politiker, Kriegsverbrecher und andere Kriminelle aus aller Welt» («Tages-Anzeiger»). Angesichts dieser Informationen muss die Frage gestattet sein, wie ernst es der CS mit ihren seit Jahren immer wieder geäusserten, stereotypen Erklärungsversuchen der zukünftigen Besserung ist.
Auch eine zweite Frage stellt sich: Wer kommt auf für den Reputationsverlust des Bankenplatzes Schweiz? Axel Lehmann jedenfalls versprach ein besseres Kontrollsystem und einen «kulturellen Wandel». Wie einst seine Vorgänger …
«Seit über 20 Jahren versichert die CS nach jedem Skandal, dass es sich hierbei um Altlasten handelte und man nun korrekt arbeitet» («Tages-Anzeiger»). Das Blatt macht eine lange Aufstellung (gebrochener) Versprechen aus diesem Zeitraum: Lukas Mühlemann, Walter Kielholz, Brady Dougan, Walter Berchtold, António Horta-Osório, sie alle versprachen Wohlklingendes, wie z.B. 2007 Brady Dougan und Walter Kielholz: «Wir sind bestrebt, konsequent die höchsten internationalen Standards punkto Ethik, Integrität und verantwortungsbewussten Umgangs mit der Gesellschaft und Umwelt zu erfüllen» («Tages-Anzeiger»).
Die Rolle der Finma
Angesichts dieses neuen Datenlecks werden Politiker aktiv. Die SP möchte die Finanzmarktaufsicht (Finma) stärken. Sie soll künftig Bussen aussprechen können, die den Banken wirklich wehtun. Da fragt man sich, mit Blick auf das Milliarden-Bussenregister der CS der vergangenen Jahre, ob Bussen überhaupt wehtun können? Und ist ein Unternehmen überhaupt belehrbar, wenn man sich die letzten Jahrzehnte vor Augen führt: Es sind Jahre mit nicht enden wollenden Skandalen als Folge der «Verschwiegenheit», der offensichtlich ungebrochenen Reputation als sicherer Hafen für Steuerhinterziehung und Geldwäscherei, der Intransparenz der vielen Geschäftstätigkeiten. Warten wir die Beantwortung dieser Frage ab – wir könnten ja auch positiv überrascht werden.
Zur Erinnerung: Die Finma schaut den Banken auf die Finger, und zwar in fünf Punkten: «Schutz der Kundinnen und Kunden, Sorge um die Finanzstabilität, Kontrolle der Finanzakteure, Rechtsdurchsetzung und Weiterentwicklung der Regeln für den Finanzplatz» (srf.ch/news/wirtschaft/…). So hat sie erst kürzlich die Notfallpläne für den Krisenfall von Postfinance, Raiffeisen und ZKB als nicht umsetzbar gerügt, jene der Grossbanken jedoch mit dem Attribut «sie machen Fortschritte» gelobt. «Allerdings seien noch weitere Schritte notwendig, um die Too-big-to-fail-Planungsarbeiten – zehn Jahre nach der globalen Finanzkrise – auch abzuschliessen», schreibt die Finma.
Russische Oligarchen und Schweizer Grossbanken
Es ist kein Geheimnis, dass viele reiche Russen Konti bei Schweizer Grossbanken eingerichtet haben. Immerhin geht es um die Verwaltung von Milliarden von Euro, deren Herkunft im Dunkel der Vergangenheit liegt. Im Gefolge des Krieges Russland gegen die Ukraine und der Sanktionen des Westens gegen Russland herrscht Aufregung unter den Betroffenen. Immerhin sollen 650 Konti betroffen sein.
Jetzt verschaffen sich russische Kunden zusätzliche Staatszugehörigkeiten, z.B. jene von Zypern, um diesen Einschränkungen zu entgehen. Neu müssen die Banken dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) melden, ob sie russische Kunden haben, die auf der Sanktionsliste stehen. Eine Woche nach Inkrafttreten der neuen Vorschriften seien beim Seco noch keine entsprechenden Meldungen eingegangen («Tages-Anzeiger»).
Wen überrascht das? Warum bevorzugen reiche Russen unsere Grossbanken für ihre Geschäfte und Transaktionen?
Klimasünder Finanzbranche
Seit der Sitzblockade der Klimaaktivisten auf dem Paradeplatz in Zürich vor den Hauptsitzen der Grossbanken wird vermehrt darüber diskutiert, welche Rolle die Grossbanken beim Klimawandel spielen, genauer bei der Kreditvergabe an Unternehmen für neue Öl-, Gas- und Kohleprojekte. Viele Menschen sind heute der Meinung, dass Investitionen in nicht erneuerbare Energien angesichts der bedrohlichen Auswirkungen der Klimaerwärmung nicht mehr getätigt werden dürfen.
Ein konkretes Beispiel aus der Praxis: Wer ist schuld an den Emissionen der Zementproduktion? Der Zementhersteller selbst oder die Kundin, die den Zement verbaut? Der Investor, der die Häuser kauft und nach sechzig Jahren wieder abreissen wird? Oder: «Der Zulieferer, der Sand und Zusatzstoffe für den Zement per Lastwagen zur Fabrik karrt? Die Bank, die einen Kredit verspricht, oder gar die IT-Firma, welche dem Zementhersteller die Buchhaltungssoftware geliefert hat?», fragt die «Neue Zürcher Zeitung».
Die Pauschalisierung, wonach die Schweizer Banken für über 2% des globalen CO2-Ausstosses verantwortlich seien, ist nicht zielführend. Immerhin ist es nicht falsch, wenn Investoren – auch Bürgerinnen und Bürger bei ihren Sparvorhaben – von sich aus entscheiden, keine Aktien der grossen Klimasünderfirmen mehr zu kaufen – und so dem Nachhaltigkeitsgebot der Gegenwart zu entsprechen. Das gleiche gälte natürlich auch für die Schweizerische Nationalbank (SNB).
Blasengefahr Banken- und Immobiliensektor
Die sich laufend erhöhende Blasengefahr auf dem Immobilienmarkt, seit vielen Jahren zu beobachten, ist gleichzeitig eine grosse Gefahr für die kreditsprechenden Banken. Nicht zuletzt durch das Verhalten der SNB (Negativ- resp. Tiefzinspolitik) fliessen seit Jahren riesige Geldmengen in den Immobilienmarkt: Die Hypothekarzinsen sind ja auf rekordverdächtig tiefem Niveau, bauen (kaufen) ist viel günstiger als mieten.
Gemäss dem UBS-Immobilienblasen-Index Schweiz ist der Index per Ende September 2021 auf 1.90 Punkte gestiegen. Dies bedeutet Risikozone (alle Werte zwischen 1.0 und 2.0 Punkte). Bei 2.0 Punkten beginnt die Blasenzone. Letztmals war diese Zone vor rund 36 Jahren erreicht worden.
Werden 2022 die Hypothekarzinsen steigen – was zu erwarten ist –, könnte es für viele Eigenheimbesitzer knapp werden. Eine Erhöhung des relevanten Zinssatzes von ein auf zwei Prozent würde die Zinskosten verdoppeln. Aus Erfahrung wissen wir, dass es beim Umschlagen von der Schönwetter- in die Gewitterzone bei den Hypozinsen sofort zur Überforderung einzelner Schuldner kommen kann. Dies wiederum verheisst nichts Gutes für die geldverleihenden Banken. In schlechter Erinnerung bleibt der Immo- und Bankencrash von 1982 in den USA.
Wo sind die wachsamen und engagierten Aktionäre der CS?
Wie Beispiele aus dem Ausland zeigen, sind Unternehmen dann am wettbewerbsfähigsten, wenn sie grosse, engagierte und wachsame Aktionäre haben. Was die CS betrifft, meint der schweizerisch-amerikanische Doppelbürger R. James Breiding zum Debakel bei der Bank, «die Credit Suisse würde davon profitieren, wenn der gesamte Verwaltungsrat zurücktreten und durch Mitglieder ersetzt werden würde, die in der Lage sind, das Vertrauen von Kunden, Aktionären, Mitarbeitern, Aufsichtsbehörden und der Gesellschaft wiederherzustellen» («Sonntagszeitung»). Auf die Frage, warum sich Urs Rohner so lange an der Macht halten konnte, antwortet der Investor und Buchautor («Too Small to Fail …»), dass die ultimativen Schuldigen die Aktionäre sind. Und er erinnert daran, dass Rohner 40 Millionen Franken kassiert hat, CEO Thiam für knapp fünf Jahre rund 100 Millionen, dessen Vorgänger Dougan mehr als 150 Millionen, alles mit ausdrücklicher Genehmigung des Verwaltungsrates.
Diese Momentaufnahme aus dem Tagebuch einer schweizerischen Grossbank ist ernüchternd und es stellt sich unweigerlich die Frage, warum es nie eine Strafverfolgung gegeben hat. Bewegen sich diese Leute ausserhalb unseres Rechtsraums? Sind sie «too big to fail» im Sinne ihres Machtgehabens und ihrer milliardenbussengewohnten Rechtsabteilungen?