Wenn ich alljährlich zur Situation Landwirtschaft Schweiz Gedanken zusammentrage, geht es immer um das Gleiche. Zusammen mit vielen Gleichgesinnten in unserem Land möchte ich darauf hinwirken, dass der Bauernstand zukunftsfähige Strategien und Absatzkonzepte entwickelt. Wir alle haben nichts gegen unsere Bauern, aber wir sind besorgt über die seit langem blockierte Gedankenwelt unserer Agarlobbyisten im Bundeshaus. Diese schreiten stramm rückwärtsgerichtet in die Zukunft. Ihr Denken ist besetzt von kurzfristigen, wenig nachhaltigen Verteidigungsideen, dabei sind diese alles andere als verteidigungswert. Wer sich dagegen – mit längerfristigem Horizont – für eine innovative, nachhaltige Landwirtschaft stark macht, tut sich schwer gegen die vermeintlich ach so clevere Allianz der Landwirtschaftslobby.
Des Ritters Pyrrhussieg
Nach monatelangem, medialem Trommelfeuer auf alle, die sich seinen fixen Ideen entgegensetzten, gelang es Bauernpräsident Markus Ritter anfangs Juni 2018 triumphierend, den angestrebten Brückenkopf zu festigen: Der Nationalrat schickte das Modernisierungspaket „Freihandelsabkommen“ der Regierung bachab. Wieder hatte sich Heimatschutz und „Subventionitis“ als Hauptträger der Verteidigungsbunker-Mentalität durchgesetzt. Zum wiederholten Mal in den letzten Jahren obsiegte das kurzfristige, protektionistische und auf Partikularinteressen basierende Festhalten am wenig zukunftsträchtigen „Bauernschläue“-Egoismus. Ritters eigentliche Moralkeule – die draussen in der Bevölkerung immer mehr an Unterstützung verliert – war wie immer „die gefährdete Zukunft der 52‘000 Bauernfamilien, die in ihrer Existenz bedroht wären“ und die eine privilegierte Behandlung verdient hätten. Genau mit dieser alten Leier tut er unseren Bauern einen Bärendienst. Wenn Ritter sich damit brüstet: „Wir Bauern denken nicht kurzfristig, wir denken in Generationen“, dann sei darauf hingewiesen, dass immer mehr Vertreterinnen und Vertreter dieser angesprochenen Generationen längst eingesehen haben, dass diese offizielle und vom Bauernverband propagierte Strategie eben kurzsichtig, rückwärtsgerichtet und ziemlich ignorant ist.
Wer ist von wem abhängig?
Wieder einmal sei daran erinnert, dass sich die volkswirtschaftlichen Kosten der Landwirtschaftspolitik inzwischen auf mehr als 7,5 Milliarden Franken belaufen; dass wir Schweizerinnen und Schweizer unsere Bauern folglich mit jährlich mehr als 7,5 Milliarden Franken (7‘500‘000‘000.00) unterstützen, also durchschnittlich eintausend Franken pro Kopf. Markus Ritter kommentiert das mit: „Der Grenzschutz schadet niemandem.“ Dabei betragen die staatlichen Subventionen rund 3,7 Mia., der Grenzschutz nochmals 3,7 Mia. und der nie veröffentlichte, restliche Betrag läppert sich zusammen aus Exportsubventionen, Familienzulagen, Treibstoffverbilligung, zinslosen Investitionshilfen, usw. Nicht alle Einwohner dieses Landes bezahlen Steuern, somit beläuft sich die Belastung für alle andern auf wesentlich mehr als jene oben zitierten tausend Franken. Einer der Hauptlieferanten für diese Bauerntransferleistungen ist die Wirtschaft, insbesondere auch die Exportwirtschaft.
Wenn also weite Kreise in Politik und Wirtschaft für neue Freihandelsabkommen mit anderen Staaten eintreten, ist deren Ziel, neue Absatzmärkte für Schweizer Produkte und somit neue Einkommensquellen zu entwickeln. Indem die Bauernlobby diese Anliegen missachtet und Bundesrat Schneider-Ammanns Pläne bachab schickt, sägt sie auf dem morschen Ast, auf dem sie sitzt. Sie wirft jenen, die ihre finanziellen Zahlungen generieren, laufend Knebel in die Beine. Deshalb: die Öffnung des schweizerischen Agrarmarktes ist seit Jahren überfällig, alle gegenteiligen Bemühungen und Versprechen sind kontraproduktiv. Auf die Dauer werden vor diesen Tatsachen die heute noch triumphierenden Bauernlobbyisten klein beigeben müssen – wenn der Bauernverband nur noch Eigengoals schiesst, wird er keine Punkte mehr erringen.
Der Mut junger Bauernfamilien
So ganz anders als der offizielle Bauernverband, die heimliche Bauernlobby oder vom System verwöhnte Grossbauern denkt eine junge Familie im Baselbiet. Dort hat die Zukunft der schweizerischen Tierhaltung bereits begonnen. Was das innovative Bauernpaar umtreibt, ist die Idee, einen Ausweg aus der verstaubten Landwirtschaftspolitik der Schweiz zu finden. Wie die SCHWEIZER FAMILIE in ihrer Ausgabe 18/2018 beschreibt, sind die beiden gerade daran, unsere Landwirtschaft besser auf die Schweiz zu fokussieren, Marktbedingungen zu beachten, weg von der Überproduktion zu kommen – kurz, den Berufsstand zeitgemässer und rentabler zu machen.
Deren Marktanalysen haben gezeigt, dass wir – dank marktaushebelnden Preisgarantien – seit Jahren zu viel Milch, oft auch zu viel Fleisch produzieren. Also: Sie züchten die neue Schweizer-Kuh, kleiner, leichter, genügsamer, gesünder, langlebiger. Damit fallen alle jene Nachteile weg, auf die seit langem immer wieder hingewiesen wird. Die „Swiss-Cow“ (wer weiss, ein zukünftiger Export-Artikel?) begnügt sich mit Weidegras und Heu, alles aus der Umgebung. Auf teures Kraftfutter kann verzichtet werden, Milch-Höchstleistungen werden belächelt. Das Ziel der Züchtung ist unabhängig von der Rasse. Eine Umkehr um 180 Grad: nachdem die bisherige Zuchtausrichtung immer grössere, schwerere und eigentliche Milchmaschinen hervorbrachte, besticht die Idee, nicht für einen Milchsee oder einen Butterberg zu produzieren, sondern – dank Anpassung des Angebots an den Markt – erst noch höhere Preise (bei tieferen Gestehungskosten) zu erzielen. Bereits hat sich eine Interessengemeinschaft (IG) gebildet, die auf diesem Weg wegkommen will von der „Milchbüchlirechnung“ mit den Hochleistungskühen. Die neue Kuh „natürlich aus der Schweiz“ ist grundsolide, brav, genügsam und begnügt sich mit Raufutter.
Das alles ist ziemlich das Gegenteil der Ziele des vom Bund finanziell gestützten Zuchtverbandes. 5500 oder 6000 Liter Milch jährlich anstelle der bisher propagierten 10‘000 – 12‘000 Litern pro Kuh. Bringt das nicht Ertragseinbussen? Nein, versichern unsere Jungbauern. Der neue Einstandspreis pro Liter beträgt 15 Rappen, verglichen mit jenem der Hochleistungskuh von 35 Rappen. Bei gleichbleibendem Verkaufspreis von 60 Rappen – rechne! Wer setzt da bisher auf das falsche Pferd, sorry: auf die falsche Kuh?
Vieles in unserer Landwirtschaftspolitik verläuft zurzeit direkt in eine Sackgasse. Vorläufig wartet das Bundesamt für Landwirtschaft ab und meint: „Wir nehmen die Anliegen der IG Neue Schweizer Kuh erst.“ Immerhin. Die Bevölkerung ist dankbar.