„Die Zahl derer, die sich ihr eigenes Unglück nach bestem Wissen und Gewissen selbst zurechtzimmern, mag verhältnismässig gross scheinen. Unendlich grösser aber ist die Zahl derer, die auch auf diesem Gebiet auf Rat und Hilfe angewiesen sind. [Deshalb darf] unserer Welt, die in einer Flutwelle von Anweisungen zum Glücklichsein zu ertrinken droht, ein Rettungsring nicht länger vorenthalten werden.“
Obiges Zitat ist dem Büchlein „Anleitung zum Unglücklichsein“ entnommen. Diesen Millionenbestseller hat Paul Watzlawick (1921 – 2007) 1983 veröffentlicht. Der begnadete Kommunikationswissenschaftler, Psychotherapeut (und vieles mehr) verstand es, uns einen Spiegel vorzuhalten, um zu zeigen, was wir jeden Tag selbst gegen unser mögliches Glück tun.
Der Betrunkene und seine Schlüssel
Besonders bekannt wurde folgendes Beispiel: „Unter einer Strassenlaterne [auf der Quaibrücke in Zürich] steht ein Betrunkener und sucht und sucht. Ein Polizist kommt daher, fragt ihn, was er verloren habe und der Mann antwortet: Meinen Schlüsselbund. Nun suchen beide. Schliesslich will der Polizist wissen, ob der Mann sicher sei, den Schlüssel gerade hier verloren zu haben und jener antwortet: Nein, nicht hier, sondern dort hinten [auf dem Marktplatz] – aber dort ist es viel zu finster.
Finden Sie diese Geschichte absurd? Wenn ja, suchen auch Sie am falschen Ort. Der Vorteil ist nämlich, dass eine solche Suche zu nichts führt, ausser mehr desselben, nämlich nichts. Hinter den beiden einfachen Worten mehr desselben verbirgt sich eines der erfolgreichsten und wirkungsvollsten Katastrophenrezepte“, sagt Watzlawick.
Wie brandaktuell Watzlawicks Beobachtungen auch heute sind, sollen einige Beispiele zeigen.
Die Droge Billiggeld
Seit Jahren fluten die Notenbanken der USA, Japans und Europas die Märkte mit Billiggeld. Das erklärte Ziel: Wachstum soll endlich angekurbelt werden. Hatte diese Idee einst – bei der Wirtschaftskrise 2008 - seine positive Wirkung, ist diese je länger je mehr infrage zu stellen. Obwohl in den USA der Konjunkturaufschwung Tatsache ist, getraut sich Frau Janet Yellen vom FED (Federal Reserve) nicht, dem Spuck ein Ende zu machen und die Zinsen endlich zu erhöhen.
In Europa lässt Mario Draghi monatlich für 60 Milliarden Euro neues Geld drucken, um Eurobonds zu kaufen. Weil aber all dieses Geld nicht in Wirtschafts-Investitionen fliesst, droht die Droge Billiggeld ihre beruhigende Wirkung zu verlieren. Da sichere Papiere nicht rentieren (?!), kaufen unbelehrbare Investoren auf der Jagd nach Gewinn bereits wieder Ramschpapiere – minderwertige Hypotheken zum Beispiel. Das alte Spiel beginnt von neuem: Es entstehen Blasen. Wir erinnern uns, diese haben vor sieben Jahren die Krise ausgelöst.
Nach Griechenland fliessen die Milliarden und auch hier war die anfängliche Idee nachvollziehbar: Dem Land sollte Zeit gegeben werden, sich zu reformieren. Das ernüchternde Resultat – zwar fliesst das Geld, doch mit den Reformen klappt es nicht. Ja, man ist versucht zu sagen, der Geldfluss verhindert die Reformen, die er einst bezweckte.
Der schiefe Turm von Pisa
Alles zu messen, was messbar scheint, ist eine Zeiterscheinung. Je mehr Globalisierung, desto mehr länderübergreifende Statistiken. Der internationale Messbarkeitswahn basiert auf messbaren Facts and Figures und ignoriert weitgehend, dass es Wissen und Qualitäten gibt, die quantitativ gar nicht messbar sind.
Die PISA-Studien der OECD sind internationale Schulleistungsuntersuchungen, die seit dem Jahr 2000 in dreijährigem Turnus in den meisten Mitgliedstaaten der OECD und einer zunehmenden Anzahl von Partnerstaaten durchgeführt werden und die zum Ziel haben, alltags- und berufsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten Fünfzehnjähriger zu messen. Das Projekt steht nicht nur in der Schweiz in Kritik.
Nun meldeten sich im Sommer 2015 Prof. Hans-Dieter Meyer, State University New York und mit ihm über 100 mitunterzeichnende Wissenschaftler, Pädagogen und Elternvertreter, in einem offenen Brief an den Direktor der OECD für Pisa, in dem die verheerenden Folgen von PISA benannt werden und die Absender ihrer tiefen Besorgnis über die negativen Folgen des PISA-Rankings Ausdruck geben.
Die Kritik ist happig. „Obwohl standardisierte Tests schon länger in vielen Ländern (trotz gravierender Vorbehalte gegenüber deren Validität und Zuverlässigkeit) gebraucht werden, hat PISA zu einer Eskalation solcher Tests beigetragen und zu einem dramatischen Anstieg in Gebrauch und Bedeutung quantitativer Messungen geführt. […] Schliesslich und am wichtigsten: Das neue PISA-Regime mit seinen kontinuierlichen globalen Testzyklen schadet unseren Kindern und macht unsere Klassenzimmer bildungsärmer durch gehäufte Anwendung von Multiple-Choice-Testbatterien. […] Diese Entwicklungen stehen in offenem Widerspruch zu weithin anerkannten Prinzipien guter Bildungspolitik und demokratischer Praxis.“
Es würde zu weit führen, alle Kritikpunkte, aber auch die konstruktiven Lösungsvorschläge hier aufzuführen. Immer mehr desselben… wie schief steht PISA in der Bildungslandschaft?
Schweizerischer Reglementierungswahn
Die Schweiz ist zwar noch immer ein recht liberales Land, doch seit Jahren ist eine klare Tendenz zu mehr Reglementierung, ja zur Überreglementierung zu konstatieren. Besorgte Beobachter sprechen bereits von einer eigentlichen Regulierungswut. Immer mehr desselben. Drei Beispiele.
Hundehalter antreten!
Schon seit jeher konnte es mal vorkommen, dass ein Hund einen Menschen, häufig ein Kind, biss und verletzte. Es sind Einzelfälle, doch jetzt wird das Zusammenleben Mensch/Hund amtlich geregelt. Das Bundesamt für Veterinärwesen verpflichtet alle Hundehalter mit „grossen oder massigen Hunden, die nach dem 31.12.2010 geboren sind“ obligatorische Hundekurse zu absolvieren. Diese Reglementierung ist ein klassisches Beispiel dafür, wie sich aus bedauernswerten Einzelfällen eine ganze Reglementierungsindustrie entwickelt, mit grossen Kosten für Staat und Gesellschaft.
Kann damit verhindert werden, dass es wieder zu solchen Vorfällen kommt?
Menuekarten werden zu Büchern
Der Reglementierungswahn macht auch vor unseren Restaurants nicht Halt. Neu sollen Wirte deklarieren, welche Zutaten ihre Menus enthalten. In der EU gilt diese Regel bereits, nun zieht die Schweiz nach, allerdings nicht ohne den absurden Vorschriften einen „Swiss Finish“ anzufügen. 27 neue Verordnungen auf 2080 Seiten, plus 200 Seiten Erläuterungen, man kann nur noch den Kopf schütteln. Vorerst sollen im Bundesamt für Lebensmittelaufsicht neun neue Stellen geschaffen werden. Und bei den Kantonen, die das überprüfen sollen? Und dann beklagen wir uns über ausufernde Verwaltungskosten, die steigen und steigen? Man hat errechnet, dass diese Übung jährliche Kosten von 50 Millionen Franken, die Einführung allein nochmals 250 Millionen Franken verschlingen werden. Die Frage: leben wir jetzt sicherer?
Die Katze beisst sich in den eigenen Schwanz
Der Mietwohnungsmarkt wird laufend stärker staatlich geregelt. Einzelne schwarze Schafe, eine kleine Minderheit unter den Vermietern, haben den Markt in Misskredit gebracht mit exorbitanten, ungerechtfertigten Mieten. Nun führen Kantone die Formularpflicht ein und bereits bestehen Absichten, dies auf Bundesebene zu tun. Die Vermieter werden verpflichtet, neuen Mietern die Miete ihres Vorgängers mitzuteilen, damit nicht unberechtigt aufgeschlagen wird.
Da seit Jahren die Referenzzinssätze sinken, werden die Vermieter verpflichtet, die Reduktion des Hypothekarzinssatzes mit entsprechenden Reduktionen der Mieten weiterzugeben. Nun gibt es aber nicht wenige private Vermieter, die ihre Hypotheken längst abbezahlt haben, dessen ungeachtet müssen sie auf Verlangen der Mieter den Mietzins laufend senken, obwohl ihre Unkosten steigen.
Dieser unsinnige Mechanismus führt dazu, dass es zu „Verleiderverkäufen“ kommt: die Liegenschaften werden verkauft, die neuen Besitzer können jetzt, aufgrund des bezahlten Kaufpreises, die Mieten massiv erhöhen. Der Schutz der Mieter entpuppt sich damit in diesen Fällen als klassisches Eigentor.
„Alternativlos“
Frau Merkel hat diesen Begriff europaweit geprägt. Watzlawick stellte einst fest, dass „Menschen dazu neigen, diese jeweils bestmöglichen Lösungen als die auf ewig einzig möglichen zu betrachten. Das führt zu einer zweifachen Blindheit: erstens dafür, dass im Laufe der Zeit die betreffende Lösung eben nicht mehr die bestmögliche ist und zweitens dafür, dass es neben ihr schon immer eine ganze Reihe anderer Lösungen gegeben hat oder zumindest nun gibt.“
Alle diese Fälle weisen darauf hin, dass das sture Festhalten an Massnahmen, die irgendwann einmal durchaus ausreichend, erfolgreich, oder vielleicht sogar die einzig möglichen gewesen waren, gefährlich ist, denn inzwischen haben sich die Umstände geändert.
Die Einfügungen […] stammen vom Autor dieser Kolumne
Literatur:
Paul Watzlawick: „Anleitung zum Unglücklichsein“ (1983)