Auch sieben Jahre nach Beginn der Finanzkrise 2007 müssen die weltweiten Bemühungen um eine dringend notwendige Reform der Bankenregulierung als gescheitert betrachtet werden. Zu Fall gebracht von einseitiger Lobbyarbeit und Irreführung. Politiker und Finanzmarktaufseher [in der Schweiz: Finma, Ergänzung durch CZ] und viele andere wollen sich nicht mit den Banken anlegen. „Glauben Sie deshalb niemandem, der behauptet, die Dinge seien heute deutlich besser als damals.“
Dieses nüchterne Fazit ziehen zwei Schwergewichte der Branche. Anat Admati ist Professorin für Finanzwissenschaft an der Universität Stanford in Kalifornien und Martin Hellwig Professor für Volkswirtschaftslehre und Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn. Von ihnen stammt das Buch „DES BANKERS NEUE KLEIDER – WAS BEI BANKEN WIRKLICH SCHIEFLÄUFT UND WAS SICH ÄNDERN MUSS“ (FBV). Die Originalausgabe „The Bankers‘ New Clothes“ erschien 2013 bei Princeton Press.
Schulden bis über beide Ohren
Viele unabhängige Fachleute sind sich einig (Banklobbyisten sind abhängig) darin, dass sich Banken und andere Finanzinstitute zu ihrer Finanzierung viel weniger verschulden dürften, dennoch sind die bisherigen Reformen jämmerlich unzureichend. Insbesondere systemrelevante Banken (in der Schweiz: UBS + CS) dürfen bekanntlich nicht, wie „normale“ Schuldner, bankrott gehen. Sie würden bei Zahlungsausfall nicht nur ihre Gläubiger, sondern weite, unbeteiligte Kreise gefährden, so dass auch Menschen in Mitleidenschaft gezogen würden, die selbst gar nichts mit der Bank zu tun haben. Genau aus diesem Grund musste 2008 in der Schweiz der Staat die UBS vor dem Kollaps retten – die Geschichte ist bekannt.
Wer sich in einer ruhigen Minute wieder einmal darüber klar wird, dass die grossen Banken ihr Business auf der Basis von 2-3% Eigenmitteln erwirtschaften, schüttelt den Kopf. „Das Problem, dass einige Banken zu gross sind, als dass man sie ruhig Bankrott gehen lassen könnte, („too big to fail“) ist heute noch grösser als 2008“, schreiben die Autoren. Da genügt Kopfschütteln nicht mehr, Stirnerunzeln kommt dazu. Die Situation ist pervers, um es vorsichtig auszudrücken.
„Die geltenden und vorgeschlagenen neuen Regulierungsvorschriften zur Senkung der Verschuldung von Banken wären die einfachste und kosteneffektivste Methode zur Krisenprävention.“ Die Bankenlobby weiss das. Doch diese Methode ist nicht in ihrem Interesse. Die Scheinargumente, die sie dagegen anführt, sind fehlerhaft, davon sind die beiden Autoren überzeugt. Sollte sich die Situation wie 2008 wiederholen, wären Sparer und Steuerzahler erneut die Dummen. Deshalb ist es an der Zeit, dass sich die ganze Gesellschaft mit den aberwitzigen Argumenten der kleinen, „feinen“ Kaste der Topmanager der Bankenriesen auseinandersetzt.
Entgegen deren „modernen Märchen“, die uns weismachen wollen, die System-Vorzüge müssten geopfert werden, um zu gesunden und sicherer zu werden, unterbreiten die Autoren seit mehreren Jahren einfache, ambitionierte Reformschritte, um den Sektor gesunden zu lassen. Besonders betroffene Politiker sollten also das Buch genau lesen, statt sich durch die gebetsmühlenartig wiederholten Warngesänge (des Männerchors vom Paradeplatz oder der Swingig Wallstreet-Singers) vor einschneidenden Reformen und deren angeblichem Schaden für die Wirtschaft beeindrucken zu lassen.
Mehr Eigenkapital
Dass die zu grossen Banken über mehr Eigenkapital verfügen müssen, ist die zentrale Botschaft der beiden Professoren. Schwache Regulierungen und unzureichende Durchsetzung der Regeln waren 2008 mitverantwortlich für den Schock, der sich um die Welt ausbreitete. Deshalb fordert Anat Admati explizit eine Eigenkapitaldecke von 20 bis 30 Prozent für diese Institute. Und sie provoziert weiter: Warum sollten Banken anders sein als gewöhnliche Unternehmen?
Immer wieder bei der sorgfältigen Aufarbeitung der Problematik werden Vergleiche gezogen. Etwa beim Vorschlag, wie Verfahren aussehen müssten, um Banken abzuwickeln: Wie bei Notfallplänen für Erdbeben oder anderen Naturkatastrophen geht es um Schadensbegrenzung. „Während wir kaum etwas tun könnten, um Erdbeben zu verhindern, können wir sehr viel tun, um die Wahrscheinlichkeit von Finanzkrisen zu senken.“
Eindringlich wird aufgezeigt, dass es einen scharfen Konflikt zwischen den Interessen der Banken und jenen der Gesellschaft gibt hinsichtlich der Risiken und Verschuldung, die Banken eingehen. Die Ablehnung der meisten Vorschläge zur Minderung dieses Risikos mit dem Argument, sie wären zu teuer, ist unhaltbar. Auch hier ein aktueller Vergleich: Wenn es den Herstellern von chemischen Farbstoffen untersagt wird, ihre Abwässer in einen Fluss oder See zu leiten, so steigen deren Herstellungskosten. Dieses Verbot ist für die Gesellschaft zweifellos nützlich und kann mit keinen stichhaltigen Gründen verweigert werden. „Staatliche Vorschriften sollen genau dazu dienen, dass die Betroffenen, seien es Farbstoffhersteller oder Banken, dazu veranlasst werden, in ihren Entscheidungen auch den Kosten Rechnung zu tragen, die sie anderen aufbürden.“
Die übermässige Verschuldung dieser Institute erhöht die Instabilität des Finanzsystems, ohne dass der Gesellschaft ein nennenswerter Nutzen daraus entstünde.
Unsinn in der Debatte
Das 2010 abgeschlossene dritte Basler Abkommen („Basel III“) setzt zwar einigen missbräuchlichen Praktiken ein Ende, löst aber nicht das grundlegende Problem, dass die Vorschriften den Banken zu viel Spielraum für Manipulationen der Eigenkapitalanforderungen lassen. Dass Basel III so schwach ausfiel, war das Ergebnis einer intensiven Lobbykampagne der Banken gegen jede nennenswerte Verschärfung der Regulierung. Explizit wird auf Josef Ackermann verwiesen, dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank. Dessen Aussage, dass durch höhere Eigenkapitalanforderungen die Möglichkeiten der Banken eigeschränkt würden, die übrige Wirtschaft mit Krediten zu versorgen und das für alle Wachstum und damit Wohlstand koste, wird scharf kritisiert.
„Diese und viele andere Behauptungen […] sind falsch und substanzlos. Höhere Eigenkapitalanforderungen hindern die Banken nicht, in gewohntem Umfang Kredite zu vergeben. Anders lautende Behauptungen sind fehlerhaft oder sogar unsinnig.“
„Fürs Zocken bezahlt“
Dieses Kapitel beginnt mit einem Zitat aus dem Jahr 1935: „Es ist schwierig, jemanden dazu zu bringen, dass er etwas versteht, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er es nicht versteht!“ Banker verfolgen eine hohe Eigenkapitalrendite, (also wenig Eigenmittel), weil diese als Leistungsmassstab benutzt wird, der sich direkt auf ihre Vergütung auswirkt. Sie haben deshalb Anreize, hohe Risiken einzugehen und möglichst viel Fremdkapital einzusetzen, um die durchschnittliche Eigenkaptalrendite zu steigern.
Solange sie dabei Glück haben, profitieren die Aktionäre der Banken davon. Verluste hingegen gehen auch zulasten der Gläubiger und der Steuerzahler.
Die FAZ zitiert in einem Beitrag (2.6.2014) über Investmentbanker einen Insider: „Die Fehlentwicklungen der Bonikultur wurden in Nuancen angegangen, aber sie sind nicht wirklich korrigiert worden.“ Ein halbes Jahrzehnt nach der Beinahe-Kernschmelze des globalen Finanzsystems sind die Geldhäuser unverändert auf Kollisionskurs mit dem Rest der Welt.
„Bankrott“
Banken waren offensichtlich schon immer krisenanfällig. Bankrott, banca rotta, banqueroute, bankrupt, diese Bezeichnungen aus dem Mittelalter, werden unterschiedlich gedeutet. Zerbrochen sind schon damals Banken und Tische der Geldwechsler. Dass sich in unserer Zeit und mit den gegenüber damals leicht verbesserten Informationssystemen solches nicht wiederholen darf, dafür kämpfen die beiden Autoren.
Wenn die Anstrengungen zur Reform des Finanzsystems nach der Finanzkrise 2007-2009 bisher erstickt wurden, ist das auch eine Bankrotterklärung der Politik. Sie hat versagt. „Diejenigen, die am Status quo nichts ändern wollen, haben die Debatte beherrscht; diejenigen, die für wirksame Reformen plädiert haben, fanden zu wenig Gehör. […] Der politische Wille fehlt.“
Ehrendoktortitel für Anat Admati
Am 26. April 2014 hat die Universität Zürich der Ökonomin und Forscherin Anat Admati den Ehrendoktortitel verliehen. Bereits im Jahr 2000 vergab die hiesige Wirtschaftsfakultät diesen Titel an George Akerlof – ein Jahr später erhielt dieser den Wirtschaftsnobelpreis. Beide Preisträger zeichnet aus, dass sie sich nicht vom Druck der Lobbys beeinflussen lassen. Ob die Politik diese Auszeichnungen würdigt?
Denn sie wissen, was sie tun
Admati möchte mit diesem Buch die Menschen wachrütteln. Denn sie wissen, was sie tun – mit anderen Worten: die verantwortlichen Banker agieren gezielt und kennen die möglichen Gefahren – diese Überschrift zu dieser Kolumne soll klar zum Ausdruck bringen, dass die handfesten Eigeninteressen einer kleinen Clique ganze Volkswirtschaften bedrohen.
James Dean im Film „Denn sie wissen nicht, was sie tun (Rebel Without a Cause)“ aus dem Jahr 1950 handelte als Rebell einer unglücklichen Jugend-Generation, geprägt von Zukunftsangst und Richtungslosigkeit. Heute rebelliert eine abgehobene Bankergeneration gegen zukünftige Regulierung und staatliche Richtwerte. Sie weiss genau, was sie tut.