Seit mehr als zehn Jahren setze ich mich ein für verbesserte Transparenz im Alltag. Reagierten 2001 Angesprochene noch mit grossen Augen und offenem Mund, ist 2011 der Ruf nach Durchsicht in Politik und Wirtschaft, im Alltag eben, unüberhörbar. Das Thema ist in den Medien angekommen. Selbst die NZZ thematisiert im April 2011 „Glaser am Werk“, und meint damit die Forderung nach mehr Transparenz. Im Zeitalter des Internets wollen Bürgerinnen und Bürger – die Generation Facebook - in den alten westlichen Demokratien, aber auch in den jungen, arabischen Ländern endlich den Durchblick bekommen, was hinter den Kulissen abläuft. Die Jahrhunderte der Geheimniskrämerei und Geheimnistuerei haben ein Ablaufdatum erhalten.
In der ZEIT wird gerätselt: „Wer meint, die Schweiz werde von Politikern und Managern geführt, der irrt. Im Geheimen regieren die Anwälte.“ Dem wäre nur eines beizufügen: Hinter den Anwälten regiert das Geld. Denn wenn die These vertreten wird, dass nur noch die Juristen mit ihrem Geheimwissen den wuchernden Paragrafendschungel durchschauten und damit die Gesellschaft von sich abhängig gemacht hätten, dann wird rasch klar, dass von diesem Megatrend jene Menschen überproportional profitieren, die überhaupt in der Lage sind, mit Einsatz persönlicher Millionen (CHF oder €) das Orchester der Spieler dirigieren.
Die bedrückendsten Übel der Schweizerischen Politlandschaft sind die Intransparenz der Parteienfinanzierung und parallel dazu der Abstimmungs- und Wahlpropaganda. Sogar im Ausland wird wahrgenommen, was aufmerksamen Schweizern schon längst als Schweizer Spezialität, allerdings als nicht exportierbare, aufgefallen ist. Die OSZE hat die schweizerische Demokratie als undurchsichtig beanstandet. Auch im Europarat überwiegt Skepsis. Da wird kein Blatt vor den Mund genommen: der Mangel ist europaweit einzigartig, ja, die Situation würde heute den Beitritt zum Europarat verunmöglichen, denn sie setze die Schweizer Politik dem Vorwurf aus, für Korruption sehr anfällig zu sein. Da höre ich jetzt jene Kreise, die sich seit jeher jede Einmischung aus dem Ausland, insbesondere aus Brüssel, verbeten haben, aufheulen. Könnte es gar sein, dass genau Personen aus diesem Umfeld besonderen Grund zur Angst vor der Forderung nach Transparenz haben könnten?
Wenn also die Anti-Korruptions-Gruppe des Europarats die Parteienfinanzierung in unserem Land untersucht und trocken feststellt, hierzulande seien die internationalen Richtlinien nicht erfüllt, ist das beschämend. Die Schweiz, Musterdemokratie seit Wilhelm Tell, steht am Pranger. Guter Rat ist teuer, da gibt Bundesrätin Simonetta Sommaruga schon einmal ein Gutachten zur Parteienfinanzierung in Auftrag. Mit Expertisen kann allerdings, das wissen wir, so ziemlich alles bewiesen werden, was die Besteller in Auftrag gegeben haben. Doch wir vertrauen auf Sommaruga, schliesslich hat sie einen respektablen Erfahrungsschatz angesammelt, wenn es darum geht, Konsumentinnen und Konsumenten zu ihrem Recht zu verhelfen.
Warum nur soll mit allen Mitteln verhindert werden, dass das Volk erfährt, wer mit wie viel den Propagandaapparat seiner Partei schmiert? Warum sind Bürgerliche bereits wieder am Warnen vor mehr Transparenz? In Genf ist diese Frage längst beantwortet (für kantonale Angelegenheiten): Wer sich mit eigenen Listen an Wahlen beteiligt, ist gesetzlich verpflichtet, gegenüber dem Staat transparent abzurechnen. Allerdings kann die zuständige Amtsstelle mangels Personal die Sache nicht konsequent überprüfen… Doch auch bei Abstimmungen spielt ja der finanzielle Einsatz eine nicht unerhebliche Rolle. Wer ein zehnmal höheres Budget in mediale Werbung investieren kann als sein Gegner, wird – nach dem Gesetz der Logik – auch mehr ernten können. Die finanzstärkste Volkspartei der Schweiz hat von 2007 bis 2010 35 Millionen Franken, die liberalste Partei immerhin 19 Millionen in politische Werbung investiert – 18x, resp. 10x mehr als die Grünen. Diese Daten stammen vom Marktforschungsunternehmen Media Focus, das in mühsamer Kleinarbeit Presseinserate sowie Wahl- und Abstimmungsplakate aufaddiert hat. Ob allerdings, wie in Genf, diese vermehrte Transparenz mit staatlichen Mitteln gefördert werden muss, ist eine andere Frage. Warum muss Ehrlichkeit vom Staat bezahlt werden?
Wer über diese Fragen nachdenkt, ist verunsichert. Ist unser Land eine gekaufte Demokratie? Hoffen wir es nicht. Vergleichen wir Mitteleinsatz und Resultate in der Politik mit jenen in der Wirtschaft, geraten wir wohl nochmals ins Sinnieren. Längst ist es ein Gemeinplatz, dass die grössten Players der Markenartikelindustrie mit ihren Riesenwerbeetats sich damit ihren Erfolg sichern – ist ja nicht verboten. Ist die Gleichung Politik = Wirtschaft diesbezüglich falsch?
Ja, in der Wirtschaft wissen wir, wer bezahlt.