Wir wissen es: In 20 Jahren hat sich viel verändert. So ist nicht verwunderlich, dass bei der vorliegenden Reform viele Personen – vor allem Frauen, die wenig verdienen – in Zukunft besser versichert sein werden. Zudem wären neu ca. 70'000 Personen in der zweiten Säule versichert.
Ja zur Vorlage
Bundesrat und Parlament plädieren für ein Ja zur Vorlage. Sie sind der Meinung, dass damit die Grundlagen gelegt werden, um künftige Renten wieder ausreichend und langfristig zu finanzieren. Verwaltet wird das Kapital in der zweiten Säule von den Pensionskassen. Diese arbeiten heute mit einem Mindestumwandlungssatz von unrealistisch hohen 6,48 Prozent. Bei Annahme der BVG-Reform wird er auf 6 Prozent gesenkt. Was entsprechend tiefere Renten zur Folge haben wird.
Dies löst natürlich keine Begeisterungsstürme aus, ist aber die logische Folge sinkender Renditen der Pensionskassen (allgemein sinkendes Zinsniveau, z.B. auch bei Hypotheken) und – auch das unbestritten – davon, dass wir länger leben und somit zusätzliche Jahre Renten beziehen werden.
Neu können sich auch Personen mit Einkommen bei einem einzelnen Arbeitgeber von 19'845 Franken (bisherige Schwelle: 22'050 Franken) versichern; dadurch wären zusätzlich 70'000 Personen in der zweiten Säule versichert.
Nein zu dieser BVG-Reform
Das Referendumskomitee läuft Sturm gegen diese Entwicklung. Mit der einseitigen Fokussierung auf künftig sinkende Renten bei gleichzeitig steigenden Einzahlungen befolgen sie ihr schon bei der Abstimmung zur 13. AHV-Rente erfolgreiches, einäugiges Prinzip: Man spricht nur von den Nachteilen, wenn es gilt, eine Vorlage abzulehnen, oder konzentriert sich nur auf die Vorteile, wenn eine Vorlage angenommen werden soll. So sprach man bei der 13. AHV-Rente nur davon, wie viel jede Person mehr erhalten wird, und verschwieg geflissentlich, dass dieselben Personen anderswo entsprechend zu höheren Abgaben verpflichtet werden. Bei diesem Abstimmungstermin schreiben die Gegner nun kein Wort über die diversen Vorteile, die für viele Menschen in Kraft treten würden.
Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard übersieht alles, was ihm persönlich nicht in den Kram passt. Sein dezidiertes Nein zur Vorlage schliesst auch ein, dass er die beschlossene und 2022 eingeführte Erhöhung des Rentenalters für Frauen rückgängig machen will. Eine Frau, Nationalrätin, Ökonomin und Präsidentin von Alliance F sowie Mitglied der GLP, Kathrin Bertschy, durchschaut die populistische Haltung des Herrn Maillard und widerlegt in einem längeren Beitrag in der Sonntags-Zeitung («Herr Maillard verteidigt das Familienmodell aus dem letzten Jahrhundert») dessen Argumente.
Die Fürsorgestiftung des Gewerbes bekämpft die Reform ebenfalls. Aufgrund einer Berechnung der Stiftung Proparis wären Coiffeure, Gärtnerinnen und Metzger die grossen Verlierer. Deshalb wird die Vorlage als ineffektiv, ja als Katastrophe beurteilt. Allerdings korrigierte Proparis später diese Zahlen: die Renten dürften sich verbessern. Bei dieser Gelegenheit darf daran erinnert werden, dass der Gewerbeverband schon längst die Ja-Parole beschlossen hat.
Die Querschlägerinnen
Dass es bei dieser Abstimmung nicht einfach ist, Vor- und Nachteile abzuwägen, beweisen die zwei Ständerätinnen Maja Graf und Esther Friedli (NZZ am Sonntag). Maja Graf (Grüne) wirft ihrer Partei vor, eine einmalige Chance zu verpassen: «Die BVG-Reform ist überfällig!» Ihr Argumentarium wirkt überzeugend und basiert auf der Feststellung, dass das heutige System der beruflichen Vorsorge aus einer Zeit stammt, als Männer die alleinigen Verdiener einer Familie waren. Frauen haben seit 35 Jahren für dieses Anliegen gekämpft. Und anders als prominente Parteisprecherinnen und -sprecher verschweigt sie nicht, dass die Vorlage natürlich ihren Preis hat.
Esther Friedli (SVP), Vorständin des Branchenverbandes Gastrosuisse, opponiert gegen ihre Partei, da bei Annahme der Reform grössere Teile des Lohns versichert werden müssten. Sie hat deshalb ein Nein-Komitee gegründet, dem u.a. auch Coiffeursalons beigetreten sind. Darf da gefragt werden, ob es einen Grund gibt, dass ausgerechnet Berufe mit hohem Anteil an heute nichtversteuerten Trinkgeldern querschlagen?
Wer lügt wider besseres Wissen?
In der Onlinekampagne des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes meinte Gabriela Medici: «Das Parlament hat beschlossen, dass wir alle weniger Pensionskassen-Renten bekommen und dafür auch noch höhere Beiträge zahlen sollen» (NZZ). Die trifft natürlich nicht zu. 900'000 Pensionierte erleiden keine Kürzungen, ihre Renten sind unantastbar und mehr zahlen müssen sie auch nicht.
Ein Tag nach obiger Veröffentlichung und nach einem kritischen Gespräch wurde die umstrittene Aussage still und leise modifiziert: Das Wörtchen «alle» fehlte nun.
Wie soll ich abstimmen?
Wer jetzt, nach dieser Lektüre, noch nicht weiss, wie er/sie abstimmen soll, dem helfen vielleicht einige zusätzliche Hinweise. Wer akzeptiert, dass ein tieferer Umwandlungssatz und steigende Bevölkerungszahlen (beides ist durch die Politik gar nicht zu beeinflussen, es sind schlicht Tatsachen) bewirken, dass diese Renten heute nicht mehr ausreichend finanziert sind, denkt logisch. Viele heute Geringverdienende werden zudem später höhere Renten erhalten; dass dies zu höheren Sparbeiträgen führt, scheint ebenso verständlich. Zudem: die Renten von Menschen, die bereits pensioniert sind, sind von der Reform nicht betroffen. Und: diese Reform passt die 2. Säule, nach 20 Jahren Stillstand, den neuen Realitäten an.
Zugegeben: Der Entscheid, wie abstimmen, fällt bei dieser Vorlage nicht leicht. Wie weiss ich, ob die Renten zukünftig fair und sicher finanziert sind? Und wie ist das Problem zu lösen, in ein er Zeit, da die Pensionierten deutlich rascher zunehmen als die Jüngeren? Diese Vorlage ist im Zusammenhang mit dem grossen Ganzen der Altersvorsorge zu sehen. Bald einmal werden wir auch über ein höheres Rentenalter diskutieren müssen, das «demografisch überfällig, politisch aber unpopulär»(NZZ) ist. Im Sinne einer längerfristigen, ganzheitlichen Betrachtung ist es sinnvoll, diese Teilvorlage zu bejahen.