Wenn wir nach den USA blicken, beschleicht uns ein mulmiges Gefühl. Natürlich „blicken“ wir vornehmlich via TV, Internet, Social Media, Printmedien, Radio etc. Was wir dabei aufgetischt bekommen, sind Meinungen. Ob Facts oder Fakes (oder gar beides gleichzeitig) ist nicht diagnostizierbar. So oder so wird uns aber bald klar, dass die Vereinigten Staaten von Amerika sich auf dem unheilvollen Weg in eine überwunden geglaubte Ära der Glaubenskriege befindet. Allerdings handelt es sich beim „Glauben“ diesmal nicht um Religionen. Das Land ist tief gespalten in Pro- und Kontra-Trump-Lager. Unversöhnlich stehen sich die zwei Parteien im Stellungskrieg gegenüber. Tatsächlich empfinden wir Unverständnis beim Beobachten dieses Trauerspiels: die „Unvereinigten Staaten von Amerika“ sind innert kurzer Zeit zum Global Player mutiert, der egoistisch, sprunghaft, provokant und widersprüchlich agiert und drauf und dran ist, seine eigenen demokratischen Werte in Frage zu stellen.
Der Glaubenskrieg spaltet das Land
Es geht nicht mehr um katholisch oder protestantisch. An Donald Trump, dem 45. Präsidenten der USA, liegt es, dass es zurzeit landesweit zwei sich gegenseitig verachtende Truppen gibt. Da stehen sie und können nicht anders: die Trump-Fans. Sie sind lokal fokussiert, was auf der Welt ausserhalb ihres Countys passiert, hat sie nie interessiert. Sie erhalten ihre tägliche Dosis Vitamin T (T für Trump) via Fox News, dem einzigen TV-Sender, der keine Lügen verbreitet. Sie sind tief beeindruckt von Trumps ausgewiesenem Können „America great again“ zu machen. In diesen Kreisen ist Trump unantastbar.
Ihnen gegenüber stehen alle andern Wählerinnen und Wähler. Sie sind schockiert. Sie finden keinen Weg im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, von der Verliererstrasse zurück ins Weisse Haus zu ziehen. Allerdings ist diese unversöhnliche Art des Glaubenskrieges nicht ganz überraschend gekommen. Irgendwie scheint dies nur der sichtbare Ausdruck einer breiten unheilvollen Desintegration innerhalb der amerikanischen Demokratie, die sich seit mehreren Jahren aufgestaut hat. Diese Desintegration ist allerdings keine US-Erfindung. Nach dem gleichen populistischen Muster agitieren auch in europäischen Staaten männliche und weibliche Machtmenschen.
„Trump bump“
Interessant ist die Entwicklung der Medienwelt. Besteht diese – wie oben erwähnt – für das Trump-Lager primär aus „Fox News“, konnten sich die „Washington Post“ und die „New York Times“ seit Trumps Wahl erstaunlich gut entwickeln. Die gute alte „Post“ war 2013 von Jeff Bezos, dem Amazon-Gründer aufgekauft worden und seither weht ein frischer Wind durch den modernen Büroturm der Redaktion. Zusammen mit CNN sind diese Medien auch sehr beliebt bei der Onlineleserschaft. Neben Social-Media-Experten hat die „Post“ zusätzliche Reporter für Politik und investigative Geschichten angeheuert (TA). „Die Wahrheit ist nicht da, um vergraben zu werden. Je mehr vergraben wird, desto mehr kann die „Post“ wieder ausgraben. „Trump Beule“ nennen sie jetzt die steigenden Auflagezahlen. Damit ist indirekt auch gesagt, wo sie besonders eifrig ausgraben…
Was lief falsch in den letzten Jahrzehnten?
Wie konnte es soweit kommen, dass sich in den USA die Menschen hassen und fürchten, je nach politischer Parteienzughörigkeit? Der Philosoph und Psychiater Jonathan Haidt (Yale, Chicago, Pennsylvenia) hat Gründe dafür gesucht und u.a. gefunden: 1. Das Fehlen von äusseren Feinden seit dem Zweiten Weltkrieg liess den nationalen Zusammenhang erodieren. 2. Das Aufkommen privater TV-Stationen und Social Media förderte die Wut- und Empörungskultur. 3. Die starke Immigration hat bei vielen Menschen zu Rückzugsverhalten geführt. 4. Die zentrifugalen Kräfte im Land wurden verstärkt durch das Verhalten der Republikaner in Washington und der Linken an den Universitäten (NZZ).
Trumps neue Export-Offensive
„Make America great again!“ ist ein klar deklariertes, wählerwirksames Versprechen, das Trump zum Wahlsieg verholfen hat. Nicht ausdrücklich propagiert, jedoch umso klarer als Tarn-Ziel im Fokus steht für ihn: „Make Europe small again!“ Die EU zu schwächen steht in der Logik des Präsidenten oben auf der Prioritätenliste.
Er hat dazu eigens seinen ehemaligen Chef-Strategen (Ziehvater?) Steve Bannon delegiert. Bannon obliegt es, im alten Europa endlich wieder den glorreichen rechtsnationalen Zeiten zum Durchbruch zu verhelfen. Gemäss NZZ ist die Stiftung „The Movement“ in Brüssel Basis für diese Desintegrations- und Agitations-Agenda. Hier soll Geld gesammelt werden, um den diversen nationalen Rechtskonservativen neuen Mut einzuflössen.
Bannon ist zweifellos eine gefährliche Figur. Auch er dreht die Uhr rückwärts, sein Weltbild ist so überholt wie explosiv: Dualistisch, entweder Sieger oder Verlierer, entweder gut oder böse. Kompromisslos. Kompromisse eingehen, das Rezept zur Vermeidung von Streit und Krieg, von dieser Denkschule distanziert er sich meilenweit. Wir sollten diesen Steve Bannon im Auge behalten.
Die Empörung muss andauern
Die amerikanische Philosophin Susan Neiman, Direktorin des Einstein-Forums in Potsdam, schreibt vielbeachtete Bücher wie „Warum erwachsen werden?“ oder neuerdings „Widerstand der Vernunft“. Beide Bücher haben – so meine Meinung – einen thematischen Zusammenhang. Auf eine Kurzformel gebracht: Gegenüber Trumps Twitter-Welt sollten sich erwachsene Menschen nicht passiv verhalten, im Gegenteil. „Als Bürger dieser Welt dürfen wir nicht einfach den Kopf in den Sand stecken (…) Eine Portion Wut ist angebracht. Die Empörung darf nicht aufhören“ (Interview NZZ).
Viele Menschen denken in Europa, was geht das uns an? Wir können ja doch nichts ändern! Doch, wie seit Jahrzehnten gilt: Alles Neue aus den USA landet über kurz oder lang in Europa. Neben Faszinierendem wie IT auch anderes. Also sind wir eben doch direkt betroffen. Übertriebener Nationalstolz („Trump Philosophy“) als Quelle aller Eingebungen für stolze Politiker in unseren Demokratien darf im 21. Jahrhundert nicht zum Exportschlager der USA werden.