„Cradle–to-Cradle“ (C2C) heisst das Prinzip. Auf dem Weg zu einer ökologischeren, umweltfreundlicheren und nachhaltigeren Welt markiert es einen weiteren Meilenstein. Die Grundidee: Gar keinen Abfall im herkömmlichen Sinn mehr zu produzieren.
„Ökoeffektivität“ statt „Ökoeffizienz“
Bereits vor rund 20 Jahren formulierten ein deutscher Chemiker und ein amerikanischer Architekt gemeinsam die Idee, von Anfang an in kompletten Produktkreisläufen zu denken und auf diese Art erst gar keinen Abfall entstehen zu lassen. Alarmiert durch ständig verbesserte Analyse-Resultate in der Forschung, die Restwerte von Giftstoffen in unserer Nahrung, in Verpackungen oder Textilien nachwiesen, gingen sie daran, dem Übel zu begegnen.
Zwar sind wir in der Schweiz „Weltmeister“ im Recycling etwa von Glas- und PET-Flaschen oder im Einsammeln des Haushaltabfalls, doch offensichtlich genügt das bei weitem nicht. Am Beispiel der PET-Flaschen weisen Forscher darauf hin, dass verschärfte Richtlinien zur Transparenz der verwendeten Inhaltsstoffe dringend nötig sind. So erklärt Albin Kälin, Gründer des schweizerischen Ablegers des EPEA-Instituts in Hamburg, dass z.B. „PET-Flaschen kleinste Dosen Antimon enthielten. Diese krebserregende Substanz bleibt zwar unter dem definierten Grenzwert, doch der Stoff migriert in Lebensmittel. Und keiner weiss, was das auflöst, wenn ein Mensch dreissig Jahre aus PET-Flaschen trinkt“ (NZZ am Sonntag).
Gemäss geltenden Vorschriften müssen die Hersteller auf der Verpackung nur deklarieren, welche verwendeten Inhaltsstoffe über einem Schwellenwert von 0,1 Prozenten liegen. „Was darunter liegt, bleibt im Dunkeln.“
„From cradle to grave“
Hand aufs Herz: Unser aktueller Produktekreislauf ist wenig nachhaltig, er gleicht eher der lapidaren Kurzform „Vom Ursprung zum Grab“. Alles, Möbel, Nahrungsmittel, Kleidung, Computergeräte kaufen wir in nagelneuem Zustand, allenfalls mit der Idee „nach Gebrauch umweltgerecht zu entsorgen“. Dass dies langfristig schwerwiegende Folgen hat, dämmert uns langsam. Raubbau in Tropenwäldern, Waste-Food tonnenweise, Textilienproduktion in Billigländern unter katastrophalen Bedingungen, Wagenladungen voller ausrangierter Notebooks und Handys für den „Export“. Irgendwann muss sich diese Mentalität ändern.
Tatsächlich kümmern sich heute engagierte Kreise dafür, dem Ziel näher zu kommen. Das deutsche „Cradle to Cradle e.V.“ veranstaltet jährlich einen „Cradle to Cradle-Congress“, eine „C2C-Akademie“ und publiziert das Magazin „Nährstoff“. Seit 2010 vergibt das „Cradle to Cradle Products Innovation Institute“ in San Francisco zudem eine „C2C-Zertifizierung).
Vorher an nachher denken!
Vorbild des C2C-Ansatzes ist die Natur. Tatsächlich wird ja hier jede Art von „Abfall“ sogleich wieder- resp. weiterverwertet. In diesem Sinne geht es effektiv um ein Umdenken in der Produktion von Gütern, um eine andere Art des Wirtschaftens. „C2C dagegen ist als Kreislauf gedacht: Das Produkt wird auf eine Art und Weise hergestellt, in der Gifte erst gar nicht enthalten sind und die Umwelt erst gar nicht verschmutzt wird, die Arbeit ist angemessen entlöhnt und der Kunde bekommt ein hochwertiges Produkt, das nach Gebrauch entweder direkt kompostiert oder zurückgegeben werden kann, auf dass der Hersteller die Bestandteile des Produkts weiterverwendet“ (reset.org/knowledge/cradle-cradle-recycling).
C2C-Ansatz in der Architektur
Der C2C-Ansatz lässt sich auch auf Architektur und Städtebau anwenden. Gebäude mit begrünten Dächern und Fassaden – sie brauchen weniger externe Wärme und können Wasser sammeln und reinigen, die Luft wird frischer. Die Grenzen zwischen Natur und Bau/Stadt beginnen, sich aufzulösen und ineinander überzugehen (mcdonoughpartners.com). Natürlich steht das Prinzip, die Sonne als Energiequelle zu nutzen zuoberst. Dann folgen Überlegungen, wie die Umgebung einbezogen werden kann. Das kann etwa gesäubertes Wasser sein, das an einen See oder Bach abgegeben wird, Nistplätze für Vögel, Schlupfwinkel für Fledermäuse, Dächer als Blumenwiesen für Bienen usw.
Wer heute in den Agglomerationsgemeinden Zürichs die Neubauten betrachtet, wird nachdenklich. Glas/Beton wohin das Auge schaut, rechteckige Würfel gedankenlos in die Natur geworfen, ohne Rücksicht auf Verluste (z.B. alter Baumbestand) – Ausnützungsverluste müssen ja à tout prix vermieden werden.
Swiss „Cradle-to-Cradle“
Seit 2009 gibt es die EPEA SWITZERLAND GmbH, mit 18 Mitarbeitern und gegründet von Albin Kälin (siehe weiter oben). Sie sind nicht allein. Die Mava-Stiftung der Roche-Erben kämpft dafür, dass sich unsere Städte aktiv am neuen Ansatz involvieren. Das Swiss Economic Forum organisiert relevante Veranstaltungen.
Auch Sie als Leserin/Leser können sich involvieren. Gehen Sie auf www.reset.org/wissen/cradle-cradle-recycling-rund-gemacht - dort können Sie sich anmelden. Wie heisst es dort: „Fabriken, deren Abwasser Trinkwasserqualität hat, Kleidung, die kompostierbar ist oder zu Nahrung für Pflanzen und Tiere wird? Geräte, die an den Händler zurückgegeben werden können, um zu einem neuen Fernseher, Telefon oder Stuhl zu werden? Cradle to Cradle will das möglich machen.“
Dieses Konzept, diese Idee ist ein weiteres Beispiel dafür, wie im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung zwar Jobs verloren gehen, aber gleichzeitig eine Fülle neuer Betätigungsfelder entsteht.
Wie wäre es, wenn sich Schweizer Produzenten – die ja vergleichsweise teuer produzieren – als Pioniere profilieren würden? Das System des haushälterischen Umgangs mit Ressourcen als Nachfolge-Idee der Wegwerfgesellschaft „made in Switzerland“? Die Initiativengruppe „Circular Economy Switzerland“ erklärt auf Anfrage, wie man Teil dieser Bewegung werden kann. In der NZZ-Verlagsbeilage vom 21. Juni 2019 sprechen Pioniere - „Circular Economy Entrepreneurs“ – von ihren Erfahrungen.
www.reset.org/wissen/cradle-cradle-recycling-rund-gemacht