Eine neue Welle der Skandalenthüllungen erreicht uns aus dem Paradies. Nach den „Panama-Papers“ des letzten Jahres sind es die „Paradise-Papers“ aus den Bermudas, die ein Vielfaches an brisanten Daten-Lecks offenlegen. Wie letztes Mal schon, ist dafür das Netzwerk „International Consortium of Investigative Journalists“ verantwortlich. Diesmal sind es bereits unglaubliche 13,4 Millionen Dokumente, die ans Tageslicht geraten sind. Es liegt an der Politik, zu reagieren. Nicht alle mögen das, leider.
Missbrauch des ungezügelten Liberalismus
Längst wussten wir, dass die Tricks mächtiger oder schwerreicher Persönlichkeiten auch den Begriff Neo-Liberalismus mit einem schalen Nachgeschmack versehen hatten. Ungezügelter Liberalismus schützt eben gerade nicht die Freiheit aller. „Viel mehr führt er zu Macht und Missbrauch in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“, war Thomas Straubhaar, Professor an der Universität Hamburg, schon längst überzeugt (Schweizer Monat).
Transparenz-Forderung
Diese Einleitung führt uns direkt zur Transparenz-Forderung, einem der Megatrend des 21. Jahrhunderts. Die These, wonach im IT-Zeitalter Verbotenes, Verstecktes, Vermiedenes oder Veruntreutes an die Öffentlichkeit gezerrt würde - dank computergestützten Datenlecks - bestätigt sich in immer rasanterem Tempo.
2016 die „Panama-Papers“, 2017 die „Paradise-Papers“ und 2018 dämmert es wohl auch jenen Personen, die Nutzniesser oder immer noch Verteidiger solcher Steuervermeidungs-Praktiken waren. Die Transparenz-Forderung ist längst erwachsen geworden und in die Phase der Realisierung getreten, nach Jahren belächelter Ankündigungen. Da mögen sich jetzt spezialisierte (international etablierte) Anwaltskanzleien hinter dem Ohr kratzen. Diesmal passiert etwas.
Warum rücken diese PPP-Papers seit 2017 in den diskreten Villas der Involvierten, auf den Pulten der Konzern- Top-Manager und den Aktenbergen viel beschäftigter Politikerinnen und Politikern „on Top“? Es kommen in dieser kritischen Phase drei Faktoren zusammen, die eine Neuausrichtung der kapitalistischen Gesellschaft nahelegen könnten.
Faktoren des Unbehagens
Erstens: die Fusionen der grössten Markt-Players – die Zusammenschlüsse zweier bereits erfolgversprechender Konzerne (Konzentrations-Effekt) – führen geradewegs zur marktbeherrschenden und damit missbräuchlichen Dominanz des Marktes. Damit gerät der vielbeschworene Markt aus dem Gleichgewicht und die Gewinne konzentrieren sich. Besonders die IT-Unternehmen aus dem Silicon-Valley haben ein eigentliches Perpetuum-mobile erfunden: sie kaufen laufend Firmen, vergrössern dadurch ihre Gewinne, sparen Steuern mit trickreichen Konstrukten, generieren dadurch neue Mittel und … kaufen weitere Firmen auf, um den Markt zu dominieren.
Zweitens: Superreiche Persönlichkeiten und Gross-Konzerne handeln egoistisch: Mit den diskret verschobenen nationalen Profiten vermittels einer Kaskade von (Schein-) Firmen in Steueroasen senken die Verantwortlichen ihre Steuerbelastung drastisch, gleichzeitig explodieren die Gewinne. (Es ist noch nicht lange her, da beteiligte sich die Schweiz in grossem Stil an diesem Business: indem weltweit tätige Firmen ihre Exporte über eine Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz fakturieren liessen und dabei z.B. „Bearbeitungsgebühren“ dazuschlugen, parkierten sie massive Teile des Bruttogewinns hier im Land und entzogen sie der Besteuerung in den Ursprungsländern).
Drittens: So langsam dämmert es vielen Menschen, dass ihre Staaten mit diesen Steueroptimierungs-Strategien betrogen werden, obgleich die Ertappten nach wie vor behaupteten, alle diese Machenschaften wären legal.
Folgen der Kapitalismus-Auswüchse
Längst ist auch bekannt, „… dass die Ungleichheit umso schneller steigt, je mehr sich die wirtschaftliche Aktivität auf wenigen Feldern konzentriert“.* Universitäten haben das alles sorgfältig analysiert, nationale Regierungen und Kartellämter sind alarmiert, besonders die ungemütliche Entwicklung in den USA lässt die Alarmglocken läuten. „Die Auswüchse des Kapitalismus spielen den Populisten in die Hände. Viele Bürger haben das Gefühl, das Wirtschaftssystem nicht mehr zu verstehen und die Kontrolle über ihr eigenes Schicksal zu verlieren. Der Reichtum konzentriert sich bei wenigen, während viel vor einer unsicheren Zukunft stehen“*.
Nachdem wir uns schon seit einiger Zeit an die Tricks auf den globalen Finanzmärkten gewöhnt haben mit denen Finanzgeschäfte zu persönlichen Zwecken manipuliert und umgeleitet wurden, stellt sich heute die Frage nach dem Zusammenhang mit dem weltweiten Aufkommen des Populismus, respektive dem offensichtlichen Erfolg dessen politischen Vertreter. Wenn weite Teile der Bevölkerung das Vertrauen in Gerechtigkeit und Fairness „jener da oben“ verloren haben, frustriert sind, ist es ein kurzer Schritt bis zum grölenden Empfang solcher Heilsbringer.
„The Isle of Money-Man“
Diese neuen Veröffentlichungen werfen ein grelles Licht auf Praktiken, die in Zeiten des Neo-Liberalismus auf ganz legale Art und Weise zum Schaden der Gesellschaft durch clevere Juristen „kreiert“ werden. Wie wahr, wenn schon seit längerer Zeit behauptet wird, die Totengräber des Liberalismus – und damit der aufgeklärten liberalen Gesellschaft – kämen nicht nur von aussen, aus ideologisch motivierten Linkskreisen, sondern auch von innen, dem Zentrum des Systems. Da wurden still und leise alte Werte wie Individualität, Freiheit und Ehrlichkeit durch Egoismus, Rücksichtslosigkeit und Verantwortungslosigkeit ersetzt. Das unstillbare Streben nach „noch mehr“ – Profit, Einkommen, Vermögen – führte zur Erosion von Moral und Anstand, Umgehung von Gesetzen und dafür zur gigantischen Besitzkumulation. Dass bei diesem Treiben international tätige, renommierte Anwälte längst die Führung und Initiative übernommen haben, ist offensichtlich Bestandteil des Ehrenkodexes dieser Branche.
Besonders stossend ist die Verlogenheit innerhalb der EU, was solche Steueroasen betrifft. Die Briten verschliessen beide Augen vor den undurchsichtigen Tricks auf der „Isle of Man“ – sie haben wohl ihren Brexit vor Augen. Doch auch Holland, Belgien und Luxemburg fordern zwar innerhalb des Glaspalasts in Brüssel Massnahmen gegen die gesellschaftsschädigenden Praktiken, doch in der Praxis unternehmen sie nichts dagegen. Ausgerechnet Brüssel in Belgien…
Damit schliesst sich der Kreis und, um es nochmals mit Thomas Straubhaar zu sagen, „Fairness, Anstand und Engagement sind für das Gemeinwohl unverzichtbare Fundamente“. Wenn sich heute Menschen auf der Strasse (die Gesellschaft), ehrliche Geschäftsleute und verantwortungsvolle Politikerinnen und Politiker zusammenraufen, um mit Druck oder aus Überzeugung für einen überfälligen Mentalitätswandel zu sorgen, wäre eine Begleiterscheinung, dass sich aus dem Neo-Liberalismus so etwas wie ein „Fair-Liberalismus“, ein „Honest-Liberalism“ entwickelte.
*Uwe Jean Heuser: „Kapitalismus inklusive“, Edition Körber (2017)