Die Informations-Explosion (durchschaut! Nr. 64) durchpflügt den Acker der weltweiten Industrieproduktion und hinterlässt tiefe Furchen. Einzelne Samen, die in der aufgebrochenen Erde am Erblühen sind, gehören zur specieRoboter. Ob diese Samen auch das Potential zu einer eigentlichen Revolution in sich tragen? Auf jeden Fall sollten wir die Entwicklung billiger, leicht bedienbarer und sicherer Roboter im Auge behalten. Aus den USA erreichen uns hochbrisante Nachrichten (nein, gemeint sind nicht die Äusserungen des republikanischen Präsidentschaftsanwärters Romney, dessen Einflüsterers Paul Ryan oder gar des Republikanischen Kongressabgeordneten Todd Akin). Die rasanten Fortschritte der nächsten Roboter-Generation sind vergleichbar mit der Entwicklung des traditionellen Telefons hin zum Smartphone und des einstigen Grosscomputers hin zum PC. Roboter werden Einzug halten auch in Kleinbetrieben und Haushalten.
Eine erste Reaktion ist natürlich, dass wir uns fragen, ob dadurch erneut Arbeitsplätze verloren gehen werden. Immerhin titelt die New York Times ihren Beitrag zur Thematik „Facharbeit ohne Facharbeiter“1. Eine erste, vorläufige Antwort lautet: Nein. Ähnlich wie das Aufkommen des PC die Sekretärin nicht überall arbeitslos machte, werden diese neuen Roboter lediglich die jobs verändern. Diese Aussage ist wohl auch Zweckoptimismus – immerhin werden zweifellos Arbeitsplätze für weniger qualifiziertes Personal wegfallen, doch in der Folge dürften neue jobs mit höheren Ansprüchen entstehen.
Doch unbeeindruckt von solchen Überlegungen entsteht vor unseren Augen die neue Roboter Generation. Eindrückliches Zeugnis davon gibt der Design Workshop der Firma Rethink Robotics in der Nähe von Boston, USA. Ein Team 75 hoch spezialisierter Menschen - aus der ganzen Welt kommend – entwickelt jene Modelle, die bald auf dem Markt erscheinen werden. Zum Beispiel den menschlichen Roboter, der am PC (screen interface) programmiert wird, um spezifische Arbeiten zu erledigen. Schweissen, malen, putzen – je nach Befehl, mal zwei Stunden das, mal für eine Stunde das andere. Oder die Spritzgussmaschine in einer Plastik-Fabrik in Clinton, Mass., die widgets2 produziert. Bereits prognostiziert der Gründer von Rethink, Rodney Brooks3, dass solche billigen, flexiblen Roboter die alte Generation der fixinstallierten, schwer programmierbaren Roboter ersetzen werden.4
Auch der Vergleich mit der heute noch dominierenden Massenproduktion in China ist aufschlussreich. Wo dort tausende von Arbeitskräften z.B. Elektrorasierer zusammenstellen, wird in Holland die gleiche Arbeit von 128 Roboterarmen bewerkstelligt, die sich mit Yoga-ähnlicher-Flexibilität bewegen – gesteuert durch Computer, Video-Kameras, überwacht durch … Menschen. Während 365 Tagen im Jahr, in drei Schichten, ohne Kaffeepausen oder Absenzen.
Das ist die Zukunft. Diese neue Roboter-Generation, nicht zu vergleichen mit den weitgehend fixen Robotern in Autowerken oder industriellen Produktionsstätten, wird die menschliche Massenproduktion (z.B. für Apple Computer, iPhone etc.) ablösen. Diese Entwicklung birgt Sprengstoff: Einerseits in den Billiglohnländern selbst, wo die grossen Konzerne ihrerseits umstellen. So plant China, mehr als eine Million Roboter zu bauen, um mit der Entwicklung Schritt zu halten. Andererseits: Die immer günstigeren und schlaueren Roboter werden die Massenproduktion in die Verbraucherländer zurückführen, da dannzumal tiefere Logistikkosten und schnellere Lieferfristen ins Gewicht fallen werden (siehe dazu auch durchschaut! Nr. 63).
Doch die Entwicklung geht rasch weiter. In Verteilzentren des Gross- und Detailhandels kommen Roboter zum Einsatz, die in einem Tempo einlagern, kommissionieren und verladen, „der schnellste Sprinter der Welt hätte keine Chance“. Boing ist dazu übergegangen, ihre Jets mit gigantischen Robotern zu warten, welche die wichtige Arbeit fehlerfrei, rasch und präzise erledigen. In der Flextronics-Solarzellenfabrik in Kalifornien wird sämtliche schwere Manövrier- und beinahe alle Präzisionsarbeit durch Roboter ausgeführt. In Palo Alto, Kalif. sind in einer Fabrik Roboter mit „Augen“ im Einsatz, die Pakete ergreifen und millimetergenau auf Förderbänder platzieren: Damit wird bei der Post oder den privaten Fed-Ex, UPS, etc. eine aufwendige Arbeit automatisiert, die heute noch zehntausende von Arbeitskräften absorbiert.
Wie drückt sich ein amerikanischer Industrie-Wissenschaftler aus: „Diese neuen Roboter werden einen ähnlich radikalen Einfluss auf die Entwicklung haben wie das Internet.“ Informations-Explosion (BIG DATA) und Roboter-Revolution: Beide haben ihre Wurzeln in den USA. „Zum Glück“, meint der oben zitierte Thomas L. Friedman. „Denn wenn man sieht, was auf der Politbühne in Washington abläuft, wundert man sich, wie sich dieses Land einmal zum reichsten und stärksten der Welt entwickeln konnte.“
Der Vollständigkeit halber darf hier nicht fehlen, dass auch militärische Roboter eine immer wichtigere Rolle spielen. Vor allem in Afghanistan sind (und im Irak waren) Landroboter und Drohnen im Einsatz. Bereits arbeiten mehr als zehn westlichen Armeen mit ihnen, z.B. dem „LS3“, einem Hunde ähnlichen, vierbeinigen Konstrukt, das hinter seinem Soldaten her trottet und bis zu 180 kg Material schleppen kann. Oder der Brieftaschen grosse „SUGV“ auf Caterpiller-Raupen, winzig; ausgerüstet mit einem Personenfoto, kann er diese Person identifizieren und verfolgen. Ein anderes Modell, ausgerüstet mit vier Kameras, kann durch Fenster und über Mauern geworfen werden – zum Fotografieren. „DelFly“, eine holländische Überwachungsdrohne, wiegt weniger als ein goldener Ehering. Am anderen Ende der Grössenskala steht der amerikanische „Avenger“, ein fliegender Jet-Roboter, der mit 2,7 Tonnen beladen werden und der mit einer Geschwindigkeit von 740 km/h fliegen kann.
durchschaut! Nr. 61, 63 – 65 sind der nächsten Industriellen Revolution, den epochalen Erfindungen, den gewaltigen Veränderungen in unserer globalisierten Welt gewidmet. Wir tun gut daran, die Zeichen der Zukunft zu erkennen und entsprechend zu denken. Verharren in den Schützengräben der Vergangenheit ist das falsche Rezept (siehe durchschaut! Nr. 67 vom 4. November 2012).
1 „Skilled Work, Without the Worker“, NYT 27. August 2012.
2 Widget: Gegenstand, „dingsbums“ (dict.cc!)
3 Rodney Brooks: Australier, früher Direktor von M.I.T. Computer Science and Artificial Intelligence Laboratory und Co-Gründer der iRobot, Erfinder des Vacuum-Staubsauger-Roboters.
4 NYT SundayReview vom 25. August 2012: „I Made the Robot Do It”, von Thomas L. Friedman.
5 The Economist, Technology Quarterly, June 2nd 2012: „March of the robots“.