Die jährliche Kostenzunahme im Krankenwesen (offiziell Gesundheitswesen genannt) ist enorm. Die Leistungserbringer (z.B. Spitäler, Ärzte, sozialmedizinische Institutionen) präsentieren regelmässig Vorschläge zu einer Ausgabenbremse – bei allen andern, nur nicht bei sich. Die eigentlichen Kostenverursacher (Männer, Frauen, Kinder in diesem Land) unterbreiten via Politik mit diesen zwei Initiativen Vorschläge zur Überwälzung eines wachsenden Teils dieser Kosten – auf Bund und Kantone, nur nicht bei sich.
Die Ausgangslage
Natürlich gäbe es Wege, um das Wachstum der Gesundheitskosten wenigstens auf das Niveau des Lebenshaltungskosten-Indexes zu beschränken. Doch den Politikern und Politikerinnen fehlen zukunfts- und mehrheitsfähige Visionen, wie das zu bewerkstelligen wäre. Denn dazu müssten unpopuläre Massnahmen verabschiedet werden (die anschliessend wieder per Referendum bekämpft würden).
Wir alle verursachen die Gesundheitskosten. Bevölkerungswachstum, höhere Lebenserwartung und persönliche Ansprüche treiben diese bald einmal auf über 100 Milliarden Franken pro Jahr. Wir leisten uns schlicht zu viel Luxus und Unnötiges – und müssten bei unseren Ansprüchen zurückbuchstabieren. Vorschläge zur Reduktion des Leistungskatalogs der Grundversicherung stehen im Raum (nur noch Generika zu bezahlen) oder bestimmte Behandlungen zu streichen (z.B. Chinesische Medizin oder Akupunktur).
Aufhorchen lässt in diesem Zusammenhang ein Beitrag in der NZZ am Sonntag: «Je jünger, desto kränker?», wonach die Kinder der Babyboomer sich öfter krank fühlten (z.B. Burn-out). Die Forschung bestätigt diesen Befund, sie sind tatsächlich weniger gesund als ihre Eltern, dieser Trend verheisst nichts Gutes.
Auch bei der medizinischen Versorgung in Spitälern beharren wir auf einer unzeitgemässen föderalistischen Luxusvariante: Andere Länder verfügen bei vergleichbarer Bevölkerung über 50 Spitäler – wir in der Schweiz über deren 250. Soll aus Rentabilitätsgründen eines geschlossen werden, geht die umliegende Bevölkerung auf die Barrikaden.
Die steigenden, durch die Administrationen der Krankenkassen verursachten Unkosten sind ein weiterer erheblicher Kostentreiber. Heute sind es über 50 Anbieter, die sich gegenseitig auf Kosten der Gesellschaft bekämpfen (z.B. TV-Werbung), obwohl sie alle den gleichen Leistungsauftrag haben. Krankenkassen-Chefs schlagen umfangreiche Massnahmen zur Bekämpfung der Kostenexplosion vor, natürlich nicht bei den Krankenkassen. Die Idee einer Einheitslösung à la AHV (Bund) ist prüfenswert, stösst aber auf vehemente Ablehnung bei der Krankenkassen-Lobby im Bundeshaus.
Für die ambulante Patientenbetreuung beklagen wir zu wenig Hausärzte. Die Attraktivität dieser Gattung leidet darunter, dass Spezialärzte ein höheres Einkommen erzielen.
Auch der Bundesrat wird vor Kritik nicht verschont. Er könnte – wenn er nur wollte – in eigener Regie ohne Mitsprache des Parlaments Kostensenkungen verfügen: z.B. Senkung der Laborpreise und der Medikamenten-Vertriebsmarge. Eine Voraussetzung dazu wäre, Widerstand gegen die diversen Interessenvertreter (Lobbys) zu leisten.
Die Prämien-Entlastungs-Initiative und die Kostenbremse-Initiative schlagen populäre Pseudo-Bekämpfungsmassnahmen vor, die am Grundproblem nichts ändern. Bundesrat und Parlament lehnen deshalb beide Initiativen ab, präsentieren dafür je einen indirekten Gegenvorschlag.
Die Prämien-Entlastungs-Initiative der SP
Die Initiative fordert, dass die Versicherten zukünftig höchstens 10 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für die Bezahlung der Prämien aufwenden müssen, der Rest wäre durch Bund und Kantone zu berappen. Schon heute profitiert gut ein Viertel aller Versicherten von Prämienverbilligungen im Gesamtwert von rund 5,4 Millionen Franken. Bei Annahme der Initiative rechnet man pro Jahr mit weiteren Zusatzkosten von 3,5 bis 5 Millionen Franken, die jährlichen Steigerungen nicht mitberücksichtigt. Zudem ist vorauszusehen, dass dadurch die Sparanreize für die Gesellschaft, also der persönliche Beitrag zur Kostendämpfung, verloren gingen. Nicht zu Unrecht schreibt die NZZ deshalb von einer zunehmenden Vollkasko-Mentalität, vergleichbar mit einem «All-you-can-eat-Buffet», während sich die Kostenspirale weiterdreht.
Der indirekte Gegenvorschlag (bei Ablehnung der Initiative) verpflichtet die Kantone, ihrerseits einen Mindestbeitrag zur Prämienverbilligung in der Höhe von mindestens 360 Millionen Franken pro Jahr zu leisten.
Die Kostenbremse-Initiative der Mitte
Die Initiative will, dass zukünftig eine Kostenbremse – im Sinne einer Deckelung der Kosten für die obligatorische Krankenversicherung – verhindert, dass deren maximale jährliche Steigerung jene der Lohnentwicklung und des Wirtschaftswachstums übersteigt. Wie das geschehen soll, bleibt im Dunkeln. Wie – als Beispiel bei einer Annahme der Initiative – wären z.B. die Tarifverträge zu senken, wenn die Kostensteigerungen die Kostenschwelle überschreiten würden? Die Idee der Initianten: Ausmerzung der weitverbreiteten Fehlanreize – was heisst das jetzt konkret?
Der indirekte Gegenvorschlag (bei Ablehnung der Initiative) sieht vor, dass der Bundesrat in Absprache mit den Akteuren alle vier Jahre festlegen soll, wie stark die Kosten in der obligatorischen Krankenversicherung höchstens steigen dürfen. In Absprache mit den Akteuren im Gesundheitswesen – ein Hochseilakt.
Unnütze Medizin?
Fachleute für Übertherapie verweisen darauf, dass heute in grossem Stil unnütze Medikamente verschrieben würden (z.B. erhält ein Drittel der über 70-jährigen Patienten Cholesterinsenker), obwohl es «keine wissenschaftliche Evidenz gäbe, dass man damit etwas Gutes tue». Nicht unbeteiligt bei dieser Tendenz ist die Anspruchshaltung in der Bevölkerung respektive die dahintersteckende Angst, man könnte etwas Schlimmes übersehen (NZZ).
Mangelnder Durchblick?
Viele Menschen, die sich über unbezahlbare Krankenkassenprämien beklagen, haben allerdings den Durchblick für ihre Gesundheitssituation längst verloren. Aufgrund von Erhebungen der Schuldenberatungsstellen weiss man, dass viele eine falsche oder ungeeignete Prämie bezahlen respektive das Optimierungspotenzial nicht erkennen (z.B. in ihrem Fall die Wahl einer zu hohen Franchise).
Am Abend des 9. Juni 2024 werden wir wissen, ob es – wie am 3. März 2024 (Ja zur Abstimmung über eine 13. AHV-Rente) – erneut zu einer Demonstration jener Kräfte im Land kommt, die für sich mehr Einnahmen respektive weniger Ausgaben beanspruchen – bezahlen dafür sollen aber die andern.