Schweiz unter ausländischem Druck
Die Umsetzung der Mindestbesteuerung für internationale Konzerne soll in der Schweiz mit einer Verfassungsänderung erfolgen. Das gefällt nicht allen. Bekanntlich ist unser Land sehr erfinderisch, was den Steuerwettbewerb betrifft. Die Bezeichnung Steueroase wird tunlichst vermieden – sei es auf internationalem wie auch auf kantonalem Territorium.
Eine umstrittene Reform
Rund 140 Staaten, darunter die Schweiz, haben sich dazu bekannt, dass grosse, international tätige Unternehmensgruppen mindestens 15% Steuern auf ihren Gewinn bezahlen sollen. Heute gibt es in der Schweiz Kantone, die weniger verlangen, um grosse Konzerne zu einem Sitz in ihrem Kanton zu bewegen. Trotzdem scheint es sinnvoll, wenn die Schweiz mit der Annahme der Vorlage stabile Rahmenbedingungen schafft.
Schon im Juni 2021 haben sich die grössten sieben Industrieländer darauf geeinigt, mit der einheitlichen Mindeststeuer von 15 Prozent für Konzerne die Attraktivität von Steuerschlupflöchern zu bändigen – zu viele Firmen hatten längst «kreative» Lösungen erdacht, um der Besteuerung in ihren Hauptabsatzländern zu entgehen.
Mit der Abstimmung vom 18. Juni 2023 soll das Schweizer Stimmvolk den Bundesrat dazu ermächtigen, die globale Steuerreform frühestens ab 2024 umzusetzen. Ob er dies wirklich tun wird, hängt auch vom Verhalten ausländischer Nationen ab.
Schweizer Lösung
Wieder einmal gerät die Schweiz unter internationalen Anpassungsdruck. Heute liegt eine Mehrheit der Kantone unter oben genanntem Steuersatz. Das Parlament einigte sich 2022 darauf, die durch die Mindestbesteuerung generierten Mehreinnahmen nach dem Schlüssel 75 Prozent für die Kantone und 25 Prozent für den Bund zu verteilen. Kantone, die mit dieser Reform einen Verlust ihrer internationalen Steuerattraktivität erleiden, können ihre Position aufpolieren, indem sie erfinderisch reagieren: Forschungssubventionen, Kita-Beiträge, ja Steuersenkungen für natürliche Personen bieten sich zum Beispiel dazu an.
Noch im Dezember 2022 äusserte sich der damalige Finanzminister Ueli Maurer vehement gegen die Idee der OECD-Mindeststeuer: «Diese 15 Prozent sind ein Angriff auf die Tiefsteuerländer und es ist insbesondere eine Kampfansage an die Schweiz» (Tages-Anzeiger). Heute spricht sich der Altbundesrat klar für ein Ja an der Urne aus – wenn wir es nicht täten, würden wir Steuersubstrat verlieren.
Der Bundesrat ist für diese Reform, zusammen mit den bürgerlichen Parteien und den Wirtschaftsverbänden. Einzig die SP kann sich nicht mit der beschlossenen Verteilung 75/25 abfinden.
Dies ist einigermassen erstaunlich, ist doch die Idee einer internationalen Steuerharmonisierung ein altes Anliegen der Linken. Die beschlossene Umsetzung sei unverantwortlich, lässt der Co-Präsident der SP, Cédric Wermuth, im Dezember 2022 verlauten. Die SP ist der Meinung, sie verschärfe den Standortwettbewerb zwischen den Kantonen zusätzlich, da allein die Kantone Zug und Basel-Stadt einen Drittel des zusätzlichen Geldes erhielten, andere Kantone praktisch nichts.
Wie meistens bei Volksabstimmungen sind sich die Universitätsprofessoren uneinig in der Beurteilung. Ein Haupteinwand gilt der staatspolitischen Herausforderung: Wie lässt sich die Minimalsteuer in einem föderalistischen Land, in dem die Steuerhoheit bei den Kantonen liegt, ohne Kollateralschaden umsetzen? Andere reklamieren, dass diese Mindestgewinnsteuer «ein endgültiger Sargnagel für das Prinzip sei, dass ein Staat nicht in die Steuerhoheit des anderen eingreifen soll» (Neue Zürcher Zeitung).
Ketzerische Frage: Ist die kantonale Steuerhoheit für das föderalistische Land Schweiz tatsächlich so segensreich? Es gibt auch Fragezeichen. Wer die Autokolonnen mit ZG- und SZ-Schildern (Tiefststeuerkantone) betrachtet, die sich jeden Morgen und Abend durch die Zürcher Gemeinden Adliswil, Rüschlikon, Kilchberg vor den Toren der Stadt Zürich quälen, um an ihren Arbeitsplatz – wo das Geld verdient wird – zu gelangen, mag darüber mit Fug und Recht anders denken. Zum Beispiel in Zusammenhang mit Luftverschmutzung, Lärmbelastung, Klimaerwärmung …
Die Reform kommt so oder so
Betroffen von der globalen Mindeststeuer für international tätige Unternehmen werden in der Schweiz ungefähr 200 Schweizer Konzerne und geschätzte 2000 ausländische Grosskonzerne mit Sitz in der Schweiz sein. Wie erwähnt wird unser Land theoretisch eine relative Verschlechterung im internationalen Standortwettbewerb erleiden – doch die helvetische Umsetzung wird dafür sorgen, dass dies kompensiert werden kann. Es dürften vor allem die Kantone Zug, Basel-Stadt, Zürich und Aargau betroffen sein.
Finanzministerin Karin Keller-Sutter hofft auf eine Volks-Ja am 18. Juni 2023, denn bei einer Ablehnung der Vorlage wäre es nicht möglich, die geplante Ergänzungssteuer auf Anfang 2024 einzuführen. Dies würde heissen, dass «andere Länder betroffene Konzerne mit Steuerpflicht in der Schweiz zusätzlich belasten und die Erträge anstelle der Schweiz kassieren» (Neue Zürcher Zeitung). Dies aufgrund der Klausel, dass – wenn betroffene Konzerne in der Schweiz z.B. nur 12 statt 15 Prozent Gewinnsteuern bezahlen müssten – andere Länder, in denen der Konzern auch Geschäftseinheiten hat, die Differenz von 3 Prozentpunkten abschöpfen könnten.
Das Ganze ist tatsächlich etwas kompliziert. Die Frage stellt sich, ob diese Mindeststeuer den heute bestehenden Steuerwettbewerb letztlich durch einen Subventionswettbewerb ersetzen wird. Denn es ist davon auszugehen, dass andere betroffene Länder ebenso «clever» reagieren werden wie die Schweiz.
Warum eigentlich das Ganze?
Immer öfter haben in der Vergangenheit grosse internationale Konzerne Wege gesucht, um ihre Steuern zu «optimieren». Sie umgehen die Steuerpflicht, indem sie Gewinne, die sie ausserhalb ihres Heimatlandes erzielen, in «Steueroasen» (Bermudas, Cayman-Inseln, Irland, gewisse Schweizer Kantone) umplatzieren, wo diese Erträge zu einem Bruchteil dessen versteuert werden müssen, wie dies im Heimatland der Fall wäre.
Als Beispiel erwähnt der Wirtschaftsprofessor Gabriel Zucman von der University of California in Berkeley in einem Interview im Tages-Anzeiger, dass der Google-Mutterkonzern Alphabet 2019 mehr als 10 Milliarden Dollar an Gewinnen auf die Bermudas verschoben hätte – dort beträgt der Steuersatz 0 Prozent.
Diese Tatsachen sind Wasser auf die Mühlen der Kapitalismuskritiker. Diese werden nicht müde, den Steuerwettbewerb als eine schlechte Art des Wettbewerbs zu kritisieren, bei dem die internationalen Multis respektive deren Besitzer die grössten Profiteure der Globalisierung seien. Die Folgen seien steigende Ungleichheit. Auch orten sie dadurch weltweit eine Ballung von Macht, um Medien und Politiker zu beeinflussen.
Wäre es möglich, dass der Schritt zur internationalen Steuerharmonisierung davon betroffene Verwaltungsräte, CEOs, Aktionäre, Politikerinnen und Politiker etwas nachdenklich stimmen könnte? Im Grossen (global) wie im Kleinen (CH)?