Die Medien verbreiten Pessimismus, Staatspräsidenten Zynismus – wo bleibt Platz für Optimismus? Gleichzeitig scheinen die Ideale der Aufklärung hinter Nebelschwaden zu verschwinden. Wenn letztere sich lichten, werden Vernunft, Wissenschaft und Humanismus wieder sichtbar? Hoffentlich.
Denken wir, was wir zu lesen bekommen?
Haben Sie kürzlich in Ihrer Zeitung, am Radio oder TV, davon vernommen, dass im Land, aus dem der Korrespondent berichtet, kein Krieg mehr herrscht? Oder: Wann lasen Sie in Ihrem Leibblatt eine Reportage über den Rückgang von Sprengstoffattentaten und der Kriminalität in der Hauptstatt jenes Landes im Fernen Osten? Wurde vom G21-Gipfel berichtet, ging es nicht um Diskussionsthemen, sondern um Proteste und Demos der Globalisierungsgegner. Schon gar nicht existent scheinen positive Reportagen über Fortschritte im Schulwesen oder in der Spitalversorgung eines Entwicklungslandes im Herzen Afrikas. Dies sind vier spontan herausgegriffene Beispiele aus der Welt der medialen Berichterstattung. „Bad News“ sind eben good news im Jargon. „Good News“ dagegen sind no news. Wer ist an dieser Tatsache hauptschuldig? Die Newsanbieter oder die Leserschaft? Müssige Frage. Zweifellos fördern Skandal- und Katastrophenberichte die Auflagewerte und Gewinnmargen der Produzenten und ebenso offensichtlich ergötzen sich Leserinnen und Leser an den bruchstückartig aufgebauschten good news in den 20 Minuten ihrer allmorgendlichen Tramfahrt.
Stetig tropfen Meldungen aus der ganzen Welt in unser Aufmerksamkeits-Reservoir. Kein Wunder herrscht in weiten Kreisen Pessimismus über den zukünftigen Gang der Welt, über die zukunftsgerichtete Gestaltungsfähigkeit der Regierung, über die abgehobenen Forschungsergebnisse der Wissenschaft. Sind wir allesamt Opfer dessen, was wir lesen, hören, sehen? Zumindest einer subtilen Beeinflussung sind wir wohl ausgesetzt.
Autoritär, zynisch, trumpisch
Der Zukunfts-Pessimismus, der sich in weiten Kreisen in den Köpfen besorgter Leserinnen und Leser auszubreiten scheint, ist auch eine Reaktion auf autoritär auftretende Männer, die sich als Staatspräsidenten berufen fühlen, die Ideale der Aufklärung (von denen sie, mag sein, gar nie gehört haben?), zu ignorieren. Seit einigen Jahren ist eine veritable Gegenaufklärung im Gange, genannt autoritärer Populismus. In seinem Schlepptau sammeln sich dessen „Jünger“, sie applaudieren dem starken Führer, der sich über Institutionen und verfassungsmässige Kontrollmechanismen hinwegsetzt. Die Beschränktheit der menschlichen Natur wird sichtbar – beim Schauspieler und dem Publikum. Die Vorgauklung der direkten Herrschaft des Volkes ist Balsam für die Seelen dieser Menschen.
Woher mag der Erfolg dieser Trump, Erdogan, Putin und wie sie alle heissen, stammen? Warum akzeptieren deren Anhänger die grossartig inszenierte Beseitigung jeglicher Faktenüberprüfung und Ignorierung von mühsam errungenem Wissen, insbesondere aber auch das Lächerlichmachen von Eliten und Experten? Warum nur orten sie überall bösartige Absichten heimtückischer Feinde des Volkes, erpresserische Ansprüche der Immigranten oder verräterische Strategien „deren da oben“, die ihre Heimat partout in die EU führen möchten? (Letztere Bemerkung bezieht sich nicht auf Trump, Erdogan oder Putin).
Vielleicht „glauben“ sie den einfachen, kurzen Botschaften ihrer Idole. Der verlorene Glauben an Religionen mag da und dort ein Vakuum hinterlassen haben, das es bei dieser Gelegenheit aufzufüllen gilt. Nicht umsonst gehören religiöse Fundamentalisten in den USA zu Trump’s eifrigsten Befürwortern. In autoritär geführten Nationen fehlen Alternativmöglichkeiten, dem zynischen Gehabe des Staatsführers überhaupt entgegenzutreten. Doch in europäischen Ländern müssen es andere Beweggründe sein. Die populistischen Versprechungen an „ihr“ Volk wie: Höhere Steuern für Reiche, tiefere Benzinpreise für alle, nationale Selbstbestimmung auch dort, wo diese gegen die eigenen Interessen verstossen würde, Suggestion eines äusseren Feindes (sehr beliebt ist da die EU) oder einfache Schlagworte wie „die haben es nur auf unser Geld abgesehen“: Alle diese falschen Thesen werden unreflektiert herumgeboten – „genau so ist es“ tönt es am Stammtisch.
Optimismus als Medizin
Es liegt an uns. Lesen, hören, sehen wir selektiver. Überspringen wir Unglücksfälle auf der Strasse oder im Bundeshaus. Hören wir weg bei Demonstrationen, politischen Selbstläufern und Skandal-News. Wenn wir schon am TV die Werbung überspringen können, tun wir das gleiche bei Kampf-Arenen und „Talks“ mit den Ewiggleichen. Es gibt Interessanteres.
Es liegt an uns. Unsere guten Vorsätze fürs neue Jahr könnten sich diesmal zusätzlich „auf die Welt, in der wir leben“ beziehen. Natürlich neben der Pflicht. Persönliche Familie, Gesundheit, Wohlstand, Zufriedenheit kommen zuerst, doch dann folgt die Kür. Indem wir uns Gedanken über jene Werte machen, die uns berechtigte Chancen einräumen, unsere Pflicht-Wünsche zu realisieren. Dass wir uns wieder einmal in Erinnerung rufen, warum es uns so gut geht. Diese Voraussetzungen riskieren im Social-Media Ge(t)witter überpinselt zu werden. Doch Achtung! Die Selbstverständlichkeit, mit der wir die schweizerischen Gegebenheiten voraussetzen, ist in Frage gestellt. Wenn wir uns wieder einmal die Ideale der Aufklärung in Erinnerung rufen, jene Werte, die unsere Vorfahren seit dem 17. Jahrhundert erkannt, definiert, etabliert und weiterentwickelt haben. Diese Ideale unserer Demokratie sind gefährdet.
Vernunft, Wissenschaft und Humanismus waren Nährboden für den Fortschritt durch die fünf Jahrhunderte. Wobei nicht jeder Fortschritt ein solcher ist. Fehlt die Nachhaltigkeitsidee ist es nur ein Fortschreiten vom Idealzustand. Der Frieden in Europa seit über 60 Jahren hat Eltern: Das gemeinsame Sorgerecht für 28 Nationen liegt bei der EU. Wie alle Eltern gibt es da Fehleinschätzungen, falsche Erziehungsmethoden, übertriebene Pingeligkeit. Die Schweiz als Nachbar hat von Frieden und Fortschritt enorm profitiert.
Oligarchen, Populisten und grosse Führer, die ihre persönliche Wirklichkeit als allgemeingültig verkennen, sind begnadete Märchenerzähler. Der anhaltende Trend, den Markt anstelle der Politik als „Allesregler“ zu verkennen („Neoliberalismus“), ist nicht zukunftsfähig. Die Forderung nach „Grundeinkommen für alle“ müsste ergänzt werden durch den Nachsatz „und wer soll das bezahlen?“.
Was heisst das jetzt für jeden/jede von uns? Wie können wir mitgestalten? Indem wir uns involvieren ausserhalb von Familie und Beruf. Indem wir uns beteiligen am lokalen Föderalismus, an der Gemeindeversammlung und an den kommunalen Diskussionen über Strassen- und Schulhausbau. Indem wir uns im gelebten „Hier und Jetzt“ einmischen und so Teil des Volkes werden- im weitesten, positiven Sinn. Indem wir uns Gedanken machen zur Zukunft der Politik und Nachhaltigkeit. Indem wir denken.
Zukunfts-Optimismus entsteht in unseren Köpfen. Unser Aufmerksamkeits-Reservoir hat noch unendlich viel Aufnahme- und Speicherkapazität. Wir sind nicht Opfer von äusseren Einflüssen. Wir sind Täter: Unser Denken und Handeln bestimmt unsere persönliche Zukunft.