Während die rückwärts in die Zukunft marschierende Bauernlobby in unserem Parlament die Schweiz je länger, je mehr vom prägenden Epochenwandel abkoppeln möchte, verändert sich die schnelllebige Welt ausserhalb des Bundeshauses in hohem Tempo. Versuchen wir also zu Beginn des neuen Jahres einen Blick in die Zukunft zu werfen.
Novel Food (neues Lebensmittel) wird in Singapur bereits verkauft
Man muss sich das vorstellen: Solein nennt sich das neue Lebensmittel, aus Mikroben hergestellt, die aus Sonnenenergie und Luft gewonnen werden. Fabian Wahl (Agroscope – landwirtschaftliche Forschungsanstalt des Bundes) sagt: «Mikrobielle Systeme sind vor allem deshalb ökologischer, weil ihre Herstellung keine oder wenig Landfläche benötigt» (NZZ am Sonntag). Auch die Daten beim Wasserverbrauch sind eindrücklich: Bei bakteriellen Proteinen liegt dieser um 30-mal tiefer als bei Soja und 300-mal tiefer als bei Fleisch.
Ein experimentierfreudiger Koch in Singapur, Mirko Febbrile aus Apulien, verwendet das goldgelbe Pulver in seinen Kreationen. «Einfache Produkte, wenig Abfall, ein ressourcenschonender Umgang, Fleisch war immer die Ausnahme» (NZZ am Sonntag). Solein gibt dem Brot eine goldgelbe Farbe, der Protein-Shake ist nahrhaft, die Glace wunderbar süss.
4-D-Druck: Schnellere Heilung nach Operation
Dank der Technologie des englischen Start-ups 4D Biomaterials heilen Wunden nach einer Operation schneller und besser. In einem Drucker werden individuelle Gerüst-Implantate gedruckt, die gepresst und anschliessend an der gewünschten Stelle am Körper des Patienten angebracht werden. Dank der Körpertemperatur entfaltet sich das Implantat von selbst und schliesst die Wunde. Anschliessend löst es sich wieder auf.
4D Biomaterials ging Anfang 2020 als Spin-off der beiden Universitäten Birmingham und Warwick hervor und beliefert sowohl Hersteller medizinischer Geräte als auch Gesundheitseinrichtungen in Grossbritannien, der EU und den USA (Globalance).
Der einstige Start-up Planted in Kemptthal bei Winterthur
Vier Jahre nach seiner Gründung hat Planted bereits 200 Mitarbeitende. Der Erfolg des Unternehmens beruht auf Fleischalternativen. Sein neuster Coup: eine vegane Pouletbrust aus Erbsenprotein. Bereits gibt es Planted-Produkte an 6500 Standorten, von Zürcher Kebab-Läden über deutsche Zugrestaurants bis zu französischen Supermarktketten. (Auf dem Gebiet der ehemaligen Maggi-Fabrik sind inzwischen viele Start-ups in die Backsteinhäuser eingezogen).
Dabei ist die Technologie von Planted alles andere als revolutionär. Das Extrusionsverfahren, bei dem eine Art Mixer Proteine mit Wasser und Öl knetet, erhitzt und zu einem Teig formt, gibt es schon seit Jahrzehnten. Planted hat ein paar Stellschrauben im Prozess in die richtige Richtung bewegt und das Produkt im geeigneten Moment lanciert.
«Wir wollen etwas bewegen», sagt Judith Wemmer, eine der Gründerinnen (Tages-Anzeiger).
Für die Energiewende
Mit ihrem Portfolio kann The Renewables Infrastructure Group (TRIG) im Vereinigten Königreich 1,9 Millionen Haushalte mit Strom aus erneuerbaren Energien beliefern. Die Gesellschaft investiert in Wind-, Solar- und Batteriespeicherprojekte in sechs Ländern, darunter Deutschland und Frankreich. Mit diesen Investitionen können jährlich 2,4 Millionen Tonnen CO2 vermieden werden.
Das Hauptziel der 2013 gegründeten Beteiligungsgesellschaft ist der Beitrag zu einer klimaneutralen Zukunft mit nachhaltigen Renditen (Globalance).
Er macht Meerwasser trinkbar
Wie er das macht? «Ist doch ganz einfach», sagt der Neuseeländer Henry Glogau. Und so erfand er in der nordchilenischen Hafenstadt Mejillones ein Lowtechgerät für den Heimgebrauch, das Meerwasser filtert, um daraus kostenloses Trinkwasser zu gewinnen. Das Solar Desalination Skylight, das er entwarf und entwickelte, nutzt er, um die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung zu decken.
Glogaus leuchtendes, kreisrundes Gerät funktioniert mittels Verdampfung und Entsalzung. Alle zwölf Stunden produziert es 540 Milliliter gereinigtes Wasser. Die Solarzellen auf dem Gerät laden sich tagsüber auf. Die übrig gebliebene Salzsole wird für die Salzbatterien des Gerätes verwendet. In Kombination mit dem gespeicherten Solarstrom erzeugen diese täglich 9,53 Volt.
Besonders nachahmenswert: Glogau lehrt die Bevölkerung der Kleingemeinde Nueva Esperanza, das Gerät selbst zu bauen. Sein Anleitungs-Kit und seine Workshops ermöglichen der Einwohnerschaft, ein Solar-Dachfenster zur Entsalzung aus einfachen Materialien wie Flaschen, Dosen, Messern und Klebeband herzustellen (The Red Bulletin Innovator).
Die Zukunft der Medizin
Die Zukunft der Medizin wird in Leipzig, Bern und Hamburg geschrieben – mit Virtual Reality, Biotechnologie und Telehealth. Die Geschichte der Chirurgie ist an einem Wendepunkt angelangt. Digitale Technik wird OPs künftig viel präziser machen, dadurch gerät der Eingriff kleiner und der Heilungsprozess ist schneller.
Am Inselspital in Bern ist eines der Forschungsgebiete das weite Feld der «Medical Extended Reality, der Augmented, Mixed und Virtual Reality». Virtual Reality wird u.a. eingesetzt, um interprofessionelle Teamtrainings durchzuführen und diese – dank reichlich vorhandenem Datenmaterial – nachträglich zu evaluieren.
Professor Dr. Thomas Neumuth, Chef des Innovationszentrums für computerassistierte Chirurgie am Uniklinikum in Leipzig, sagt dazu: «Jede Operation verursacht unerwünschte Begleitschäden, weil man gesundes Gewebe aufschneiden muss, um das schlechte herauszuoperieren.» Es gilt also, die Schutzschicht des Körpers so geringfügig zu verletzen wie nur irgend möglich.
Thomas Sauter, Leiter für die Bereiche Bildung, eHealth und Telenotfallmedizin des Inselspitals in Bern und Assistenzprofessur an der Universität Bern, erklärt: «Meine Abteilung beschäftigt sich mit allen Aspekten der Digitalisierung in der Akutmedizin.» Laut WHO-Definition meint der Begriff Telemedizin die Konsultation zwischen Healthcare-Providern und Patienten sowie Gesundheitsinstitutionen untereinander – mittels Fernmonitoring und Datenübermittlung.
Viele Menschen stehen solchen Entwicklungen nach wie vor skeptisch gegenüber, sie befürchten eine zunehmende Entmenschlichung des Verhältnisses zwischen Arzt und Patient. Doch Sauter gibt Entwarnung: «Telehealth ist keine digitale Barriere, die zwischen Arzt und Patient steht, sondern eine grosse Chance der Zusammenarbeit». Er ist überzeugt, dass sich digitale Hilfsmittel als Ergänzung zum klassischen Arztkontakt durchsetzen werden.
Mit diesen wenigen Beispielen wird nur ein winziger Teil der Aussichten unseres Lebens in der Zukunft gestreift. Das riesige Potenzial neuer Technologien ist grossartig. Sie werden sich auf unser Leben auswirken – ob wir das wollen oder nicht.