Die Geschichte der Demokratie – was wir uns darunter vorstellen – ist rund 3'000 Jahre alt. Es ist eine wertvolle Geschichte, kostbar in dem Sinne, als sich in diesem langen Zeitraum im Westen die Idee der Volksherrschaft mühsam und mit vielen Rückschlägen als politisches Modell durchsetzte. Davor hatten Könige, Feldherren, Adlige oder Gruppen von Machtausübenden regiert. Umso katastrophaler ist der unverständliche, abrupte Rückfall in die Vergangenheit, der in den USA aktuell durch den Präsidenten provoziert wird. Ein Feldherr, den nur die persönliche Macht interessiert.
Eine stark verkürzte Geschichte der Demokratie
Aus dem antiken Griechenland stammt die Überlieferung, dass sich rund 500 Jahre v. Chr. ein «Epochenwandel» abspielte: Die Tyrannenherrschaft einzelner Machthaber wurde beendet, ausgelöst durch einen mutigen Mann (Kleisthenes), der nicht nur von Reformbedarf sprach, sondern Reformen auch durchsetzte, an deren Ende sich das athenische Volk selbst regierte.
Damals etablierte sich das Recht – und die Pflicht (!) –, dass sich alle männlichen athenischen Bürger am politischen Entscheidungsgeschäft zu beteiligen hatten. Es waren dies erste Schritte Richtung Demokratie: besonders wichtig war dabei die Idee, dass sich möglichst alle Bürger aktiv zu involvieren hatten. Diese Epoche endete für Athen nach rund hundert Jahren mit der Eingliederung ins mazedonische Reich.
Rund 500 Jahre v.Chr. sehen wir die Römische Republik, (ab 27. V. Chr. das Römische Kaiserreich); ihr Fundament setzte sich zusammen aus Recht, Gesetz und Gemeinwohl, anfänglich ausgeübt durch Patrizier über die Plebejer, später bildete der Senat das eigentliche Machtzentrum Roms, während die Volksversammlung relativ geringen Einfluss hatte. Eigentlich ein demokratischer Rückschritt, dennoch fasziniert die Nachwelt der Aufstieg Roms – das Imperium Romanum – bis heute.
Zu Beginn des 13. Jahrhunderts erfolgte in England die Unterzeichnung der Magna Charta, ein kleiner weiterer Schritt Richtung Demokratie, bei dem die Macht des Königs durch Adlige eingeschränkt wurde. Später erhielten auch die Bürger umfassende Rechte. Diese demokratische Frühform bildete, zusammen mit der Bill of Rights, die Grundlage für die Verfassung der USA im 18. Jahrhundert.
Eine eigentliche Revolution führte 1776 in den USA zu den Grundlagen der ersten modernen Demokratie der Welt. Die nordamerikanischen Kolonien erklärten ihre Unabhängigkeit von Grossbritannien. Wichtig: Das System der checks and balances sollte die Machtakkumulation einzelner Institutionen im Staat verhindern.
Die westlichen Demokratien auf den Abstellgleisen?
Warum dürfen uns die Trump’schen Kapriolen nicht gleich sein? Wenn wir zurzeit weltweit die Ausbreitung von Autokratien konstatieren müssen, ist doch ein wesentlicher Unterschied zum amerikanischen Zerfallsprozess entscheidend: Autokratische männliche Herrscher anderswo auf der Welt sind nicht demokratiezerstörend – sie sind allenfalls friedensgefährdend, skrupellos oder menschenverachtend. Sie repräsentieren zwar ebenfalls einen Rückfall in vergangen geglaubte Zeiten und ihr absoluter Machtanspruch ist egoistisch-einfältig begründet, doch sie leben eh nicht in Demokratien, die diesen Namen verdienen.
Warum also ist die Entwicklung in den USA auch für uns in der Schweiz verstörend? Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten öffnet sich ein Graben zwischen Links und Rechts – Demokraten und Republikanern –, ein Graben, der von Monat zu Monat weiter auseinanderklafft und im September dieses Jahres mit der Ermordung von Charlie Kirk eine gefährliche Breite erreichte. Zwar gibt es diverse Gründe für diese Entwicklung, die seit mehreren Jahren zu beobachten ist. Doch heute sitzt der eigentliche Brandbeschleuniger im Weissen Haus. Er regiert wie einstige Herrscher vor Jahrhunderten. Er ersetzt bestehendes Recht durch seine Dekrete: Briefwahlrecht wird abgeschafft; dem Strafgericht wird die Unabhängigkeit entzogen; die Notenbankerin, die sich ihm entgegenstellt, will er entlassen. Er ändert politisch etabliertes Vokabular via Fox News durch persönliche Verunglimpfungen: Die demokratische Partei bezeichnet er neuerdings als «einheimische extremistische Organisation» (Tages-Anzeiger). Das Schlimmste daran: Offensichtlich gefällt das vielen Amerikanerinnen und Amerikanern, sie scharen sich hinter ihn, polarisieren das Land. Dabei realisieren sie nicht einmal, dass sie mit diesem Verhalten die amerikanischen Grundrechte verraten. Von checks and balances gar nicht zu reden.
Und die Schweiz?
Auch in der Schweiz sind Ansätze einer unversöhnlichen Polarisierung in der Politik nicht zu übersehen. Noch nicht so krass wie in den USA, doch das Land, einst bekannt für seine erfolgreiche Kooperations- und Kompromissbereitschaft der Parteien, verstrickt sich in Jahre dauernde Hickhacks um Details von kleinlichen (veralteten) Regulierungen. Derweil ist der Wille zu überfälligen Reformen abhandengekommen.
Über unser Verhältnis zu Europa streiten wir permanent; die Unterzeichnung allfälliger neuer EU-Verträge wird laufend hinausgeschoben. Und auch wir kennen den ungesunden Trend, dass sich schwerreiche Personen mit ihren Milliarden in die politische Entscheidungsfindung einmischen – aus persönlichen, egoistischen Gründen. Sie versprechen «dem Volk» das Blaue vom Himmel, indem sie ihm die Lösungen für alle bestehenden Probleme und eine rosige Zukunft vorgaukeln – sofern man nicht auf Bundesrat und Parlament hört.
Dabei geht vergessen, dass unsere etablierte Praxis der Verlässlichkeit der Institutionen die Basis unseres – im Ausland oft bewunderten – Wohlstands bildet. Die «Herrschaft des Volkes» darf nicht untergraben werden. Geld darf nicht zum intransparenten Entscheidungsfaktor bei Wahlen und Abstimmungen führen. Kampf darf Kooperation nicht verdrängen.